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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Weinstein und die Porzellansammlung, konnte sie ihm das etwa erzählen?
    Sie ließ es sein, gab vage Auskünfte über Pyritz, die Flucht, die Militärregierung. Auch er schien alles gesagt zu haben, und zu tun gab es nichts mehr, keine Leitung zu legen, kein Schalter, der repariert werden mußte. Er ließ den Rest der Leberwurst bei ihr stehen, sagte, daß er am nächsten Tag nach Hause müsse für drei Tage, und in der Folge sahen sie sich immer seltener. Schließlich lief er ihr nur noch zufällig über den Weg, meistens mit einem Mädchen an der Seite. Es war keine Kränkung für Margot, obwohl es ihr leid tat in gewisser Weise, auch wegen der Leberwurst und anderer Vorteile, die sich aus solcher Freundschaft offenbar ergaben. »Sollst du gehn mit Krethi, nicht mit Plethi«, eine der Redensarten aus der Kleinen Wollweberstraße, gegen die Margot früher vergeblich angerannt war, es sei Unsinn, klinge furchtbar und dergleichen, alles Schnickschnack für Anna Jarosch. »Soll nicht klingen schön, sollst du verstehen, was ich meine«, hatte sie gesagt, und möglich, daß etwas davon nachhallte, als Margot ein Jahr später Harald Hellkamp wieder in die Arme fiel, mit anderen Folgen allerdings als seinerzeit auf dem Bahnhof. Und vielleicht wäre es sogar zu Anna Jaroschs Freude gewesen, wie soll man es wissen, sie konnte keine Kommentare mehr geben. Margot mußte ihre Entscheidung allein treffen.
    »Ich wollte es besser haben«, wird sie einmal sagen, »und ich habe es für Liebe gehalten.«
    Warum auch nicht. Er sah gut aus, und alles schien so einfach in seiner Gegenwart. Liebe. Es ist bekannt, was ihre Großmutter davon hielt. Und wenn der Volksmund behauptet, daß Liebe blind macht, so könnte es umgekehrt auch heißen: Blindheit macht Liebe. Da stehst du, und ich möchte dich lieben aus vielerlei Gründen, und weil ebenso viele Gründe dagegen sprechen, schließe ich die Augen, nun liebe ich dich.
    War es so? Es gab vielerlei Gründe für Margot, sich an Harald Hellkamp festzuhalten nach dem ersten Göttinger Jahr, diesem Winter vor allem, der nach sanftem Beginn um Weihnachten herum zur Katastrophe erstarrte. Ein Jahrhundertwinter ohne Kohlen und zu essen nichts als Kalorien, so jedenfalls drückte es Frau Hannewald aus, Kalorien, und davon soll einer satt werden.
    Margot hatte beim Bauern gegen Max Weinsteins Zigaretten Kartoffeln eingetauscht, gute Kartoffeln, gelb und mehligkochend. Sie lagerten unten im Keller, von Frau Hannewald zusammen mit dem eigenen Vorrat gehegt und gepflegt, was nicht verhindern konnte, daß sie erfroren, matschige, glasige Kartoffeln, der Geschmack von süßlicher Fäule, aber immer noch besser als nichts. Denn was sollte man anfangen mit fünfzig Gramm Fett und hundertfünfundzwanzig Gramm Fleisch pro Woche, von denen gut die Hälfte der Marken an die Mensa abzuliefern waren für das Mittagessen, zusammen mit Nährmittel- und Brotmarken. Die Mensa erhielt Sonderzuteilungen, es gab dort Kartoffeln und Spinat, Rote Bete, Sauerkohl, Grünkohl, manchmal eine Frikadelle oder Gulaschbröckchen, und in der Erbsensuppe, den Steckrüben, den Graupen fanden sich Stücke von Schwarten und Schweinepfoten. Es lohnte sich, die Marken dorthin zu bringen, obgleich fast nichts übrigblieb für die anderen Mahlzeiten. Drei Scheiben Brot höchstens pro Tag, hatte Margot errechnet, drei Gramm Fett, fünf Gramm Käse, knapp sieben Gramm Fleisch, und lange Gespräche kreisten um die Frage, wie sich die wöchentliche Ration von einem halben Liter Magermilch dem Speiseplan am nutzbringendsten einverleiben ließe.
    »Gleich in die Leine kippen, damit man nicht auf den Geschmack kommt«, schimpfte Frau Hannewald, spendierte Margot jedoch trotz der eigenen Not des öfteren einen Teller Suppe oder etwas von dem sogenannten Brotaufstrich, ein Brei aus Grieß und Wasser, der mit Hilfe von Lorbeerblatt, Majoran und gebratenen Zwiebeln einen Hauch Wurstähnlichkeit bekam. Sie gehörte einer Notgemeinschaft von vier Frauen an, die sich zwecks Jagd auf Sonderzuteilungen zusammengefunden hatten und parallel sämtliche Schlangen in der Stadt besetzt hielten, hier einen Kohlkopf ergatterten, dort einige Zwiebeln, vielleicht Buttermilch oder Wurstbrühe, gelegentlich sogar, was allerdings schon an Wunder grenzte, Raritäten wie Stopfgarn oder Achselband. Zum Ährenlesen und Kartoffelnstoppeln gingen sie ebenfalls gemeinsam, wobei sie keinerlei Scheu zeigten, Äpfel am Weg zu pflücken oder Bohnen auf unbewachten Feldern.

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