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Malenka

Malenka

Titel: Malenka Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Irina Korschunow
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Stock bitte allenfalls morgens und abends benutzen.
    »Lange dauert das hier sowieso nicht«, erklärte Harald Hellkamp, als Margot verstört auf das Gerümpel blickte, auf die blinde Dachluke voller Spinnweben. Trotzdem legte er noch am selben Abend eine geheime elektrische Leitung von der Flurbeleuchtung bis zur Matratze, je nach Bedarf abnehmbar und wieder anzuschließen. Auch eine Lampe brachte er mit, eine Tasse, einen kleinen Kocher und einen Topf, unnötigerweise beinahe, denn schon wenige Tage später fand sich dank des Prinzips, daß, wer viel fragt, auch viele Antworten bekommt, ein besseres Quartier. Der Bekannte eines seiner Bekannten gab Studium und Zimmer auf, so daß Margot in die Groner Torstraße ziehen konnte, zu Otto und Emmi Hannewald. Das Haus lag am Leinekanal, der kaum Wasser führte um diese Jahreszeit und modrigen Geruch durchs Fenster schickte. In den unteren Wohnungen nistete der Schwamm, aber bei Hannewalds im zweiten Stock war es noch trocken, und Margots Zimmer, sauber getüncht, die Dielenbretter rot gestrichen, enthielt alles Nötige, Schrank, Tisch und Stühle, auch eine Waschkommode mit Schüssel, Kanne und Eimer, sogar einen eisernen Ofen, keine Selbstverständlichkeit für Göttinger Untermieter. »Und ein erstklassiges Bett«, sagte Frau Hannewald.
    »Mein Otto ist Sattler, der hat die Matratzen im Griff. In meine Küche dürfen Sie auch. Meine Studenten brauchen keine rohen Kartoffeln zu essen wie bei manchen Gnädigen im Ostviertel.«
    Sie war klein und weißhaarig, und ihre freundliche Resolutheit erinnerte Margot an Frau Dobbertin. Doch, das Zimmer gefiel ihr. Außerdem kostete es nur zehn Mark monatlich.
    »Sehen Sie, man muß nur erst einen Fuß in der Tür haben«, sagte Harald Hellkamp.
    Er hatte ihr geholfen, die Sachen vom Stegemühlenweg in die Groner Torstraße zu bringen, und war später noch einmal zurückgekommen, mit Brot und einer Büchse Leberwurst für das erste Abendessen in der neuen Behausung.
    »Wo haben Sie das denn her?« fragte Margot und sah zu, wie er die Dose öffnete und Wurst auf die Brotscheiben strich, eine dicke Schicht, grau und fett, nach Thymian duftend und allerlei Gewürz, fast wie Anna Jaroschs Produkte.
    »Vom Gut«, sagte er.
    »Was für ein Gut?«
    »Lorup. Es gehört uns.«
    »Ich denke, Sie haben eine Weberei?«
    »Ja, sicher. Das Gut wird von einem Verwalter bewirtschaftet. Früher standen die Pferde dort, Prachtpferde, die haben sie uns natürlich beim Polenfeldzug weggeholt. Aber jetzt sind schon wieder zwei neue da.«
    »Eine Fabrik und ein Gut«, sagte sie verwundert.
    »Warum erstaunt dich das?«
    »Es war doch Krieg.«
    »Was hat das mit dem Krieg zu tun?« fragte er. »Bielefeld ist übrigens total kaputt. Aber bei uns haben sie kaum etwas getroffen, nur die Maschinenhalle, und nicht mal schlimm. Ein Riesenglück.«
    »Glück«, sagte Margot, die Augen auf der Leberwurst.
    »Kriege ich noch ein Brot?«
    Er schnitt eine Scheibe vom Laib, schnell und präzise, und sie fragte: »Haben Sie oft Glück?«
    Harald Hellkamp dachte nach, dann nickte er, doch, ja, das könne man so ausdrücken, und führte den Krieg an als Beweis, den er im Westen verbracht habe, bei der Nachrichtentruppe, fünf ruhige Jahre an der französischen Küste, nicht zu fassen so ein Glück, wogegen sein älterer Bruder in Rußland geblieben sei, kaum da und gleich alles vorbei. »Und soll ich Ihnen sagen, warum? Weil er von Anfang an damit gerechnet hat. Schon als Kind war er so. Bei jedem Sprung über einen Bach hat er vorher verkündet, daß er bestimmt ins Wasser fallen würde, und wenn einer fest daran glaubt, dann liegt er praktisch schon drin.«
    Er schien, so klang es jedenfalls, dem Bruder diesen Tod ein wenig zu verübeln, seiner eigenen Pläne wegen, die dadurch gestört worden waren.
    »Elektrotechnik, das hätte mich interessiert, oder auch Maschinenbau. Und nun muß ich natürlich den Laden zu Hause übernehmen und Volkswirtschaft studieren.«
    »Wie schrecklich«, sagte Margot ironisch.
    Er stutzte, fing dann an zu lachen. »Sie haben recht, ist ja wirklich keine allzugroße Zumutung. Und es wird schon werden. Das bleibt nicht immer so in Deutschland wie jetzt. Und wenn wir wieder richtig loslegen können, macht es auch Spaß.«
    »Sie sind so katastrophenlos«, sagte Margot.
    »Wie meinen Sie das?« fragte er erstaunt, und eigentlich wußte sie nicht, was sie mit ihm reden sollte, eine Fabrik, ein Gut, ihre Erfahrungen waren anderer Art. Max

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