Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
beim Abschied, sondern unterwegs zu einem Wiedersehen, einer warmen, herzlichen Umarmung in der tollen Stadt, die ihre Schwester für sie ausgesucht hatte. So fühlt sich Gewißheit an, muß ihr Herz gedacht haben, und vielleicht: so fühlt sich Liebe an. Und das tüchtige Schiff, das mit flatternden Segeln wartend am Pfahl lag, die Dorothe, hat das beruhigende Feuer ihres Entschlusses noch genährt.
Und doch hatte es an diesem Morgen, als sie sich in aller Frühe davonschleichen wollte, ohne ein Wort des Abschieds, einen Moment gegeben, in dem sie schwach wurde. Jemand hatte auf sie gewartet, traurig und verfroren. Zunächst hatte sie ihn nicht einmal bemerkt. Während sie auf Strümpfen die Leiter hinunterstieg, hatte er in der noch nahezu völligen Dunkelheit auf dem Stuhl neben dem Alkoven gesessen. Sie hörte ihn husten.
O nein!
Sie hatte die kleine Reisekiste und die Schuhe rasch auf den Boden gestellt, eine Kerze angezündet und war zu ihm gegangen.
»Verflixt noch mal, Vater.«
Sie roch seine säuerliche Bettwärme. Schnell zog sie einen Stuhl heran und erzählte ihm, während sie ihm in die Augen schaute, daß sie wegging, leise, mit beiläufiger Stimme. Seltsamerweise schien er alles, was sie sagte, zu verstehen. Tränende Augen hatte er im übrigen oft.
»Willst du eine Pfeife?«
Sie war eilends aufgestanden, hatte den Fensterladen geöffnet und sich für einen allerletzten Moment wieder zu ihm gesetzt. Durch den Tabakrauch hindurch hatte sie hinter seiner Schulter den Morgen heraufziehen sehen, grau, aber wegen der noch reglos am Boden kauernden Gänseschar doch auch sehr lebendig. Er hatte den Kopf zu ihr hingewandt. Als wolle er sie ganz aus der Nähe ein letztes Mal betrachten. Sich ebenfalls vorbeugend, hatte sie ihm noch einmal erzählt, wohin sie ging – »Amsterdam«, artikulierte sie mit den Lippen – und zu wem.
So hatten sie beieinandergesessen, ein paar Minuten, nicht länger. Und jeder hatte durch den anderen hindurch diejenige gesehen, um die es in Wirklichkeit ging. Zum erstenmal suchte der alte Mann auf dem Gesicht der herangewachsenen Tochter nach den Zügen der geliebten Mutter und fand sie auch. Und Elsje brauchte nicht einmal zu suchen. Sie konnte Sarah-Dina, in all ihrer Kraft, fern jeglichen Zweifels, jederzeit vor sich sehen, also ganz gewiß in einem Moment wie diesem.
Als sie die Haustür hinter sich zuzog, dachte sie schon nicht mehr an den Stiefvater. Statt dessen ertönte in ihremKopf eine kleine Melodie, ganz von selbst, wie Melodien das im geeigneten Moment immer wieder tun.
De Leevde, ach, is Raseri
Ut den Höllenschlund …
Sie hatte sie fast fröhlich gemacht. Tempo und Rhythmus paßten sich der Geschwindigkeit an, mit der sie losmarschierte.
Als sie am Kai ankam, herrschte dort bereits große Geschäftigkeit. Es gab noch mehr Schiffer, die ins tauende Wasser hinauswollten, das noch dick war wie Leim. Die Dorothe lag mit getakelten Masten und offenen Luken zum Auslaufen bereit. Der Matrose war auf dem Achterdeck beschäftigt, Niels Eilschov stand, nach seiner Passagierin Ausschau haltend, unten an der Laufplanke. Ein paar Fischer, die sie vom Markt kannten, sahen das Mädchen an Bord gehen. Sie drückte dem Schiffer die Hand, lief die Planke hinauf, stieg über den Niedergang in die Kajüte, stand jedoch, als sich das Schiff ruhig, quertreibend, vom Kai löste, schon wieder an Deck.
»Geh nach oben!« hatte der Schiffer ihr schnell in der Kajütentür zugerufen. Und hatte sie trotz der Abfahrtshektik ernsthaft angesehen. Seit er gestern am späten Nachmittag mit dem Laden fertig geworden war, platzte er fast vor Optimismus und Tatendrang. Er hatte Freude an dem trüben Tauwetter, fand sich selbst größer, stärker, als es ihm je zuvor bewußt geworden war, und spürte, daß diese erste Reise nach den lähmenden Wintermonaten etwas Besonderes werden würde. Das Mädchen hatte wohl vom ersten Moment ihrer Begegnung an etwas bei ihm bewirkt.
»Ist besser für die Seefestigkeit«, rief er noch.
Und sie gehorchte und folgte ihm den Niedergang hinauf, Elsje Christiaens, jung und hübsch, von sanftem Wesen und einstweilen noch völlig unempfänglich für das männliche Begehren, das sie erregte.
Erstaunlicherweise aber wurde sie überhaupt nicht seekrank. Als sie sich eine Stunde später wegen der Kälte dann doch in die Kajüte begab, frühstückte sie mit dem Schiffer und dem Matrosen, Brot, Stockfisch, Bier. Der leere Krug, den Niels
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