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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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sicherheitshalber neben ihr auf den Boden gestellt hatte, wurde nicht benötigt. Die Dorothe steuerte in diesem Moment schnell und in ziemlicher Schräglage mit festgesetztem Vorsegel auf den sechsundfünfzigsten Breitengrad zu. Das Wasser schwappte regelmäßig übers Deck, schlug mit einem grauweißen Schwall gegen das kleine Fenster und lief schäumend durch die Speigatts wieder zurück.
    Sie sah sich das alles zufrieden an und fragte, wie schnell sie segelten.
    Niels, der sich bereits erhoben hatte, um wieder an Deck zu gehen, sagte: »Zehn, zwölf Knoten.«
    Er ließ den Matrosen auf dem Weg nach oben vorangehen. Dann, in der offenen Tür: »Ähm, sag mal …«
    Sie blickte zur Seite. Ja?
    Er schluckte. Dann, plötzlich entrüstet: »Was willst du da eigentlich?«
    Sie runzelte die Stirn und schmiegte sich in ihr Umschlagtuch.
    »Ach, ganz einfach, arbeiten.«
    Sie kamen gut voran an diesem ersten Tag, und Vorankommen bedeutet für einen Reisenden Lebensmut in seiner unbekümmertsten Form.
    Angenommen, hinter dem Reisen verbirgt sich stets irgendein Traum, banal oder nicht, so schienen sich die drei auf der Dorothe ihrer Sache absolut sicher. Wonach sehnst du dich, abgesehen von deinem Zielhafen? Gut, der Matrose und der Schiffer sind des Geldes wegen auf dem Wasser. Achtenswert, obwohl für Niels diesmal etwas hinzugekommen war, was gar nichts mit Geld zu tun hatte, nicht einmal mit den sechs Stuivern, die Elsje ihm bereits bezahlt, und den zwei Talern, die sie noch zu entrichten hatte. Und was das Mädchen betrifft, seelenruhig in ihrer Ecke, so ist sie sich dessen gar nicht bewußt, daß ihre Reiselust im Grunde eine Eigenschaft Sarah-Dinas war, die bête noire ihrer Träume …
    Elsje denkt, daß sie sich auf dem Weg in eine Stadt befindet, die keine Stadt ist, sondern eine Stimme, eine Art des Auf-sie-Einredens, eine Erzählung, in die sie zitiert worden ist. Wie sollte sie ahnen, daß sie in Wirklichkeit nicht auf dem Weg in eine Erzählung ist, sondern in eine Zeichnung, Tusche auf Papier? Während sie auf die dunkel gebeizte Wand gegenüber blickt, hat sie nicht die leiseste Vorahnung, daß sie am Ende ihrer Reise, ganz zuletzt, schon jenseits des Endpunkts, nicht ihrer Schwester begegnen wird, sondern einem Maler. Einem halsstarrigen Typen. Der, egal was man ihm weiszumachen versucht, nicht die geringste Lust zeigt, zu verreisen.
    »Warum sollte ich?«
    Achselzucken.
     
    Er steht in seinem Atelier in Leiden und hat keinen Geringeren als den Sekretär des Prinzen zu Besuch. Ein Ankauf oder ein Auftrag liegt in der Luft.
    »Junger Mann …« (Der Maler ist noch fast ein Kind, wie der Sekretär des Prinzen feststellt. Der gute Junge hat noch kaum einen Bart … runde Wangen … ist sehr blaß, arbeitet wahrscheinlich bis zum Umfallen.) »Junger Mann, Ihr Talent ist enorm, Ihre Lehrmeister haben Ihnen nichts beibringen können, was Sie nicht schon wußten. Aber jetzt, jetzt müssen Sie reisen. Italien! Jeder geht dorthin, verflixt noch mal. Ihre Unbeweglichkeit ist ein Skandal. Eigentlich eine Anmaßung. Der Impuls des Reisenden ist ein grandioses, im Grunde jedoch demütiges Verlangen, zu verstehen, was ihm noch unbekannt ist. Terra incognita, jawohl, auch für Sie gibt es das, wenngleich Ihnen nur Ihre allergrößten Kollegen etwas Neues werden sagen können. Raffael, Michelangelo, Tizian …«
    Der Maler errötet: »Tizian. Unglaublich gut! Hab’ ich bei der Versteigerung des Pfandhauses de Wit in Amsterdam gesehen.«
    Der Sekretär des Prinzen: »Reise, mein Junge!« (Gedämpfte Stimme, Kopf vorgeschoben.) »Sieh dich einfach um, und danach machst du es besser. Glaub mir, es wird nicht lange dauern, dann reisen die Italiener en masse nach Holland.«
    Abweisende Stille, während der Maler an die Unannehmlichkeiten des Kofferpackens und den enormen Zeitverlust auf miserablen, unbekannten Straßen denkt. Sein Besucher postiert sich unterdessen vor dem ziemlich kleinen, aber sehr räumlichen Gemälde, das an einem Nagel an der Wand hängt. (Ein händeringender Judas, in einem Lichtkreis dreißig Münzen, ein hoher Innenraum und darin eine Gruppe bestürzter Amtspersonen mit phantastischen Kopfbedeckungen.)
    Der Sekretär des Prinzen, zunächst murmelnd, dann mit zunehmendem Feuer: »… phänomenal, großartig … Ganz Italien geb’ ich dafür … und die Antike dazu … Wie machst du das, Junge, was weißt du denn schon von Verzweiflung, von Reue, von tiefer, schwerer Sünde, du hast ja noch nicht

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