Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Tulpenzwiebelbodens wieder verlassen, bis auf einen einzigen Nachfahren.
Er hieß Zibrandt Backer. Die hagere Gestalt mit schwarzer Mütze, feuerroten Augenbrauen und Backenbart stand im schneidenden Wind am Strand und beobachtete, wie die Dorothe näher kam. Er war nicht allein. Bei ihm standen die vier Knechte, die an diesem Tag zwei Kaufleute aus Odense in einem seetüchtigen Boot von Nyborg zur anderen Seite hinüber hatten rudern wollen. Die sechs hatten den gescheiterten Versuch nur knapp überlebt.
»Willkommen auf Sprouwen«, sagte Zibrandt schleppend, mit einem merkwürdigen Akzent, nachdem die Dorothe auf eine Eisschwelle gekracht war und alle geholfen hatten, einen Riß im Laderaum mit Segeltuch zuzustopfen und ein paar Eisanker auszubringen.
Ein loderndes Feuer. Fünf pfeiferauchende Männer. Elsje trank aus einem Becher Met.
»Bitte sehr, die Tür steht offen, ihr seid hier alle meine Tafelgesellen!« hatte Zibrandt gerufen, während er die drei durchgefrorenen Neuankömmlinge an den Schultern in sein Häuschen schob. »Tafelgesell« war ein Wort aus der Sprache seiner Ururgroßmutter, das er besonders mochte, es bedeutete »Gast«.
Kurz darauf zu einem der Knechte: »Hilf mir mal!«
Niels, der Matrose und Elsje hatten da bereits mit den beiden Kaufleuten aus Odense Bekanntschaft geschlossen. Ein dicker Holzstamm wanderte ins Kaminfeuer.
»So, so.«
Der Herr des Hauses hatte sich händereibend umgesehen. Das kleine Anwesen war eine sogenannte Leibrette, ein Häuschen mit Scheune, das Zibrandt für ein noch immer vom König bezahltes geringes Salär instand hielt. Und wie nützlich sein Hilfsposten tatsächlich war, das erwies sich heute wieder einmal! Der Wohnraum mit dem schmalen Bett, einem Tisch und drei Stühlen unter einer niedrigen, schiefen Holzdecke konnte die in Not geratenen Reisenden kaum fassen.
»Wir gehen besser in die Scheune«, hatten die Knechte gesagt. Sie griffen nach ihren Proviantkörben, verschwanden und übertönten schon eine Viertelstunde später den um das Häuschen heulenden Wind mit Ein Hös’ken un noch ein Paar Schuh! …
»Ein Stück gebratene Gänsekeule? Eine Scheibe Schinken mit Senf? Ein Brötchen mit Huhn, eine Salzbrezel, einen Becher Wein?« ertönte es auch im Haus selbst schon bald. Die beiden Kaufleute, noch immer überrascht, daß sie den Angriffdes Eises überlebt hatten, sahen, wie ihr für eine Woche bestimmter Proviant schon an diesem Abend bis zum letzten Krümel und Tropfen verputzt wurde. Morgen, strahlten sie, ist wieder ein Tag!
»Wahnsinnig lecker«, sagte eine duselige Elsje. Der kleine Raum war blau vor Rauch. Wärme, Geselligkeit. Hinter den beiden Fenstern die tobende Nacht mit dem Mond im letzten Viertel. In der Scheune waren sie inzwischen zu Er hing schon uff dem nackten Weyb übergegangen.
Als man zu gähnen begann, winkte Zibrandt dem Matrosen und Niels, sie sollten eben mal zur Scheune mitkommen. Kurz darauf bekam der Fußboden im Haus eine mindestens fußhohe Lage frisches Stroh, und man konnte sich zusammenrollen, wo immer man wollte. Die drei von der Dorothe fielen, dicht an dicht wie Löffel in einer weich gefütterten Schachtel, vor dem heruntergebrannten Feuer in Schlaf. Wenn’s draußen wütet, bist drinnen behütet, dachte Elsje zwischen zwei Träumen, denn den wahnsinnigen Lärm draußen konnte auch kein Schlafender überhören. Inzwischen war auf fünfundfünfzig Grad nördlicher Breite und zehn Grad östlicher Länge, das heißt am Eingang zum Großen Belt, ein Schiff mit einer Ladung fünf Meter langer Baumstämme, Bestimmungshafen Korsör, gesunken.
Gegen drei wachte sie auf. Durch das Pfeifen des Windes und das Krachen und Knirschen des Eises am Strand hindurch war ein dumpferes Geräusch an ihre Ohren gedrungen. Mondlicht fiel ins Zimmer. Sie sah, daß sie nicht die einzige war, die nicht mehr schlief.
»Was ist das ?« fragte sie entgeistert.
Sie hatte sich neben ihn ans Fenster gestellt.
»Das sind meine Baumstämme.«
Sprachlos blickten die beiden auf das übernatürliche, vom Eis straffgezogene Stück Meer, aus dem Hunderte schwarzer Pfähle schräg nach vorn, nach hinten, nach links oder nach rechts ragten. Niels stellte den Pulloverkragen auf, warum, hätte er nicht sagen können. Der Moment war in jeder Hinsicht unmöglich. Die Augen voller Entsetzen auf seine Ladung gerichtet, sich aber trotzdem des Mädchens bewußt, hörte er im Kopf wieder das Lied, mit dem er eingeschlafen war und dessen eine
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