Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Strophe er im Schlaf ständig wiederholt hatte. Ach, wollt’ sie mich doch in sich lassen … Er hob den Arm und legte fünf Fingerspitzen auf den Rücken des Mädchens. Sehr sanft und sehr vorsichtig. Niels Eilschov war Frauen gegenüber schüchtern.
Sie spürte es nicht einmal.
Nein, sie sah nicht, was sie eigentlich hätte sehen sollen. Und dazu noch so überdeutlich.
Am Nachmittag stand sie allein da und schaute auf die nicht nur zugefrorene, sondern auch noch durch Baumstämme verbarrikadierte Passage. Etwas weiter weg waren Niels und der Matrose damit beschäftigt, Reparaturen am Schiff vorzunehmen. Der Rest der Gruppe hatte morgens den Fußmarsch über das Eis hinüber zum anderen Ufer gewagt, die Kaufleute, die Knechte, freundlich begleitet von Zibrandt, der diese Tour schon häufiger unternommen hatte, mit dem ganzen Gepäck auf seinem Schlitten. Die drei Meilen müßten in wenigen Stunden zu schaffen sein.
Der Wind war schwächer geworden. Die Märzsonne stand bereits ziemlich hoch, und der Eisspiegel hätte es mit der grellblauen Farbe des Himmels auf einem Gemälde des zukünftigen Caspar David Friedrich aufnehmen können.Der Große Belt ist zwischen der Insel Sprov und dem Festland auf der Ostseite so schmal, daß Elsje den Hafen, von dem aus sie ihre eigentliche Reise hatte beginnen sollen, bei diesem klaren Wetter hätte sehen müssen. Aber so war es nicht. Durch die eiskalten Temperaturen hatte die Luft über dem Land in der Ferne begonnen zu kristallisieren. Alles, was sichtbar hätte sein können, zerfiel in ein rasendes Gewimmel aus rosa, grauen, weißen und hellblauen Teilchen, die man nur mit schmerzenden Augen betrachten konnte. Sie wandte den Blick ab. Der Hafen existierte nicht. Sie starrte erneut auf die Eisfläche. Blau war sie, ja, aber durchbohrt von den kreuz und quer eingefrorenen norwegischen Tannen, die zufällig dasselbe Ziel gehabt hatten wie sie. Amsterdam, sagt man zuweilen, ist auf Norwegen erbaut.
Sie zog die Schultern hoch. Holte tief Luft, hielt den Atem eine Weile an und schaute. Was, müssen ihre Augen gefragt haben, hatte dies zu bedeuten?
Die Zeit würde erst noch kommen, in der eine derartige Menge harter, metallisch schimmernder Stangen einen sofort an Krieg denken ließ, und zwar an die Sperre, mit der man das Heranrücken einer Panzerkolonne aufzuhalten hofft. Jetzt wirkte es, als hätte eine riesige Hand eine Ladung Krampen und Nägel heruntergeworfen. Eine Maßnahme, grob, häßlich und gespenstisch, die sich für Niels sehr negativ auswirken sollte – er ging darüber beinahe bankrott –, für das Mädchen jedoch, auf fast schon übertriebene Weise, etwas Fürsorgliches in petto zu haben schien.
Was mochte das sein?
Plötzlich gab es einen Bruch in ihrer Stimmung.
Als hätte sie jemand beim Handgelenk gepackt, wurde ihre Aufmerksamkeit von etwas völlig Neuem abgelenkt.Über das Eis eilten zwei große Pferde auf sie zu. Die pechschwarzen Tiere zogen einen Schlitten.
Hatte sie richtig gesehen? Es ging so schnell.
Es ging tatsächlich schnell. Warum auch nicht? Die Pferde waren sechsjährige friesische Hengste, gezüchtet und ausgebildet von der Person, die sie in diesem Augenblick mit geschickter Hand lenkte. An den Baumstämmen vorbeilavierend, als hätten sie nie etwas anderes getan, und hier und da einem Eisbrocken ausweichend, trabten die Hengste mit den beiden Passagieren im Schlitten mühelos auf den Strand zu. Dort wurden sie gezügelt. Elsje sah eine Frau, so klein wie sie selbst, aber wesentlich älter, die unter einem Bärenfell hervorkroch und ausstieg. Ein Mann, ein Diener, blieb auf der Rückbank neben dem Gepäck sitzen, als habe er keine Lust, auszusteigen.
Die beiden Frauen begrüßten einander. Das heißt, Elsje erwiderte die fröhlich hochgezogenen Augenbrauen und den forschenden Blick der anderen mit genau der gleichen Mimik, wie das bei Begrüßungen oft geschieht. Sie verneigte sich auch wie die andere leicht, verstand aber vorläufig nichts von den Worten, mit denen diese sie ansprach.
Die Frau reckte den Hals, um den Blick über die Landschaft mit ein paar gefrorenen Bäumen, einem kleinen Haus und einer Scheune wandern zu lassen. Als sie Elsje wieder ansah, sagte sie in billigendem Ton: »Sprouwen!«
Worauf Elsje im gleichen Ton antwortete: »Sprouwen!«
Und beide, ohne zu wissen, warum, lachen mußten. Das war die Begrüßung.
10
Wegen eines Talers!
Er sah es gleich beim Eintreten. Ärgerlich. Sie saß an einem der
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