Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
der das Rathaus gut kannte, sah vor seinem inneren Auge, was ihm nun in unzusammenhängenden Sätzen, eilig wegen der Zeit, berichtet wurde; von dem Mädchen,das den Schöffensaal durch eine Art Torgewölbe betrat, bis hin zu den scheußlichen weißen Marmorskulpturen, die als Zierde oben auf dem Tor stehen. Sie wird, dachte er, den Knochenmann und dieses reizende Weib – die Strafe –, das einen Kniezertrümmerer einsatzbereit in ihrem lieben Händchen hält, wohl nicht bemerkt haben. Denn wer durch dieses Tor treten muß, schaut nicht nach oben, sondern geradeaus. Vom Gegenlicht einer nach Westen gehenden Fensterreihe geblendet, gelangt man dann fast wie ein Blinder an den vorgesehenen Ort, um verhört zu werden.
»Ein ganz scheußlicher Fall, hat mein Mann gesagt, aber auch ein einfacher, denn das Kind hat sofort alles gestanden und war sehr gefügig.«
Der Gefängniswärter, der sie festhielt, schob sie nach rechts. Bleib stehen, hat er nach ungefähr sieben Metern gesagt. Das hat sie getan. Dort, auf seinem Sessel unter einem riesigen, ja, wirklich nicht enden wollenden Gemälde, hat dann der Schultheiß ihren suchenden Blick auf sich gezogen. Und die fünf oder sechs Schöffen, die ihn flankierten, desgleichen, alle in tiefstes Schwarz und tödliche Stille gehüllt. Der Gerichtsschreiber muß irgendwo an der Seite gesessen haben, neben ihm stehend wahrscheinlich der Dolmetscher. Nach einem Gongschlag begann das Verhör.
Die ersten Fragen verstand sie, sie betrafen formale Dinge, für die ihr Holländisch ausreichte.
»Wie lautet dein Name, und aus welchem Land kommst du?«
Danach wurde es schwieriger. In ihren nassen Kleidern hatte sie sich an diesem Morgen sofort erkältet. Ihre Ohren waren verstopft, doch wenn sie schluckte, ging eines wiederauf, und die Stimme des Vernehmers donnerte an ihr Trommelfell. Nachdem sie ihr Alter angegeben hatte – achtzehn Jahre –, beugte einer der Schöffen sich vor. Er wollte von ihr wissen, wie lange sie bereits hier in der Stadt war, doch sie verstand ihn nicht. Der Dolmetscher, ein Däne, der früher Koch auf einem grönländischen Walfangschiff gewesen war, trat hinzu, stellte die Frage noch einmal und gab ihre Antwort weiter.
»Sie sagt, sie ist zwei Wochen und einen Tag hier.«
Der Schöffe war ein muskulöser blonder Mann, der seinem Gesicht einen grimmigen Ausdruck zu geben versuchte. Er erhob sich, starrte das Mädchen kurz an und stellte ihr dann, in lautem Ton, eine ganz lange Frage. Sie ließ sie hilflos über sich ergehen.
Wieder sprang der Dolmetscher ein. Er hatte im Gegensatz zu dem Schöffen eine leise, sogar ein wenig raunende Stimme. Sie lauschte, doch ihr Blick driftete unterdessen ab, als ob sie mit ihren Gedanken ganz woanders wäre.
»Und?« fragte der Dolmetscher, nachdem er fertig war.
Sie sah ihn treuherzig an und nickte.
Der Dolmetscher übersetzte ihr Nicken.
»Sie gesteht, daß sie der Frau, in deren Haus sie fünfzehn Tage übernachtet hat, mit einem Beil den Kopf eingeschlagen hat.«
Jetzt mischte sich der Schultheiß ein, schwarze ausdrucksvolle Augen, Stimme wie ein Klumpen Erde.
»Wie viele Hiebe?« donnerte es wie aus großer Höhe.
Leises Echo: »Wie viele Hiebe?«
Sie antwortete.
»Zwei«, rief der Dolmetscher dem Schultheiß zu.
»Sie lügen!!«
Leise, schnell dazwischen: »Sie lügen …«
»Der tote und mißhandelte Leichnam wies mehr Hiebe auf, bestimmt sechs, teils am Kopf, teils an den Händen!!«
Sie sperrte den Mund auf, nicht, um etwas zu sagen, sondern um den Druck von ihren Ohren zu nehmen. Es war hier sehr schwer, sich auf diese lästigen Fragen zu konzentrieren. Wenn sie auch nur kurz wegschaute, nach oben, wurde ihr Blick von einem Gemälde gefangengenommen, noch größer und schöner als die riesigen katholischen Engel, die sie in der lutherischen Kirche in Aarhus so geliebt hatte. Sie holte tief Luft, stockend, wie ein Kind, das gerade heftig geweint hat, und seufzte. Wie unglaublich rot der rote Rock dieses Mannes war, wie ähnlich die Frau mit dem weichen Hals und der ausgestreckten Hand da ganz links doch der vom Erdboden verschwundenen Sarah-Dina sah …
Inzwischen hatte einer der Männer ziemlich umständlich von ihr wissen wollen, warum sie es getan hatte. Sie wartete, unbeteiligt, auf die Stimme, die gleich nähertreiben würde, wie aus großer Ferne.
»Warum …?« seufzte es an ihrem Ohr.
Sie schloß kurz die Augen, weil sie einen Hustenanfall unterdrücken mußte. Dann wandte sie
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