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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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sich, während sie für einen Augenblick den Atem anhielt, dem Schiffskoch zu und erzählte ihm schnell von dem furchtbaren Streit zwischen ihr und der Schlaffrau.
    »Sie sagt, daß die Frau einen Taler Schlafgeld von ihr verlangt hat und daß sie den nicht besaß. Sie sagt, daß die Frau am Tag davor deswegen auch schon böse geworden war und daß sie sie schier verrückt gemacht hatte.«
    »Ja, und?«
    Moment.
    »Sie sagt, daß sie heute morgen wieder in Streit geraten sind, daß die Frau sie mit dem Besen zu schlagen begann und daß sie genau in dem Moment, als sie in großer Heftigkeit entbrannte, auf einem Stuhl ein Beil liegen sah. Sie sagt, es war, als ob jemand dieses Beil für sie bereitgelegt hätte.«
    Der Hustenanfall entlud sich. Sie kämpfte nicht einmal dagegen an. Tränen strömten über ihre Wangen, sie rieb sie mit den Fäusten weg. Das Gericht beschloß, die Sitzung auf morgen zu vertagen.
    Auf dem Weg zu ihrer Zelle unter dem Rathaus führte der Wärter sie wieder durch das kleine Torgewölbe des Schöffensaals. Nach ein paar Schritten hieß er sie eine halbe Drehung machen und dann stehenbleiben. Er war ein kleiner, waschbärenartiger Mann mit eisenfarbenem Bart und lockigen Koteletten bis zu den Mundwinkeln, was ihm ein gutmütiges Aussehen verlieh.
    »Schau«, sagte er und streckte den Zeigefinger aus. Das Mädchen hatte ihn aus irgendeinem Grund gerührt.
    Als sie weiter zu Boden blickte, packte er sie am Kinn. Sie schlug die Augen auf, folgte der Richtung seines Zeigefingers, und ihr Blick stieß deshalb nicht auf die finsteren Skulpturen, mit denen das Tor oben verziert war, sondern auf die kleine Glocke, etwas tiefer, direkt über dem Marmorbogen.
    »Die Reue kann gut warten, mein Kind«, sagte der Wärter. »Sogar sehr gut, aber gib acht, die letzte Minute ist wirklich die letzte Minute.«
    Am Abend, um sechs Uhr, kam der Wärter und fragte, was sie essen wolle. Aus seiner Aufzählung wählte sie einen Teller weiße Bohnen mit gehacktem Schafsfleisch, worauf erbeifällig nickte, es war das teuerste und nach seinem Geschmack auch das leckerste Gericht. Finanziell machte es keinen großen Unterschied. Von den acht Stuivern, die die Stadt ihm pro Tag für die Bewachung des Mädchens zahlte, würde er nach Abzug der Kosten für die Mahlzeiten, die von seiner Frau günstig eingekauft und zubereitet wurden, bestimmt sechs übrigbehalten. Der Teller wurde ihr von einem langen Schlaks prompt gebracht, er stellte ihr auch einen Krug Bier vor die Füße.
    »Danke«, sagte sie.
    Der angehende Kerkerknecht, einer der Söhne des Gefängniswärters, was man ihm irgendwie, vielleicht wegen seines rotlockigen Kopfs, auch ansah, drehte sich, bereits wieder an der Tür, noch einmal zu dem Mädchen um. Blieb da noch einen Augenblick stehen, einfach so, steckte die Hände in die Taschen seiner Pluderhose, schaute. Sie saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Strohsack an der Wand. Ihr durch das Gehuste und Geschniefe leicht geschwollenes Gesicht wurde von dem unbestimmten Licht aus zwei unverglasten vergitterten, gar nicht mal so kleinen Fenstern beschienen, das aus dem ebenfalls unverglasten und vergitterten oberen Fenster in den Gang fiel. Unsichtbar dahinter einer der Innenhöfe des ringsum wie eine Festung aufragenden Rathauses.
    »Wiedersehen«, sagte er.
    »Wiedersehen.«
    Der Junge verließ ihre Zelle, verschloß sie mit den drei Riegeln und außerdem mit dem Schlüssel und stolperte über die kleine Treppe am Ende des Gangs zum Erdgeschoß hinauf, wo der Rest der Gefängniswärterfamilie in ihrer Wohnstube bereits bei Tisch saß. Während des Essens dachte er andas Mädchen, das kurz gelächelt hatte, als wäre ihr irgend etwas Schönes, Hoffnungsvolles in den Sinn gekommen.
     
    Am nächsten Tag, dem neunundzwanzigsten April, wurde sie erneut vorgeführt, diesmal in der Folterkammer. Dieser große Raum, ungastlich, aber mit von Hammer und Meißel eingehauenen Peitschen und Geißeln sehr dekorativ verziert, lag, von den Wohnräumen des Gefängniswärters umgeben, im Erdgeschoß. Wer in der Folterkammer verhört wird, den bezeichnet man, nicht unlogisch, als Patienten. Vor den Schöffen stand ein langer Tisch, gegenüber ein etwas kleinerer für die Bürgermeister, und wenn keine Folter angewendet werden mußte, wie im heutigen Fall, hatte man das restliche Mobiliar so weit wie möglich an die Wände zurückgeschoben und in den Nebenzimmern verstaut. Als Elsje den nie gelüfteten Raum betrat, traf sie

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