Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
Sommertags war also Frans Bruyningh, ein guter Bekannter der Cloecks, in das prächtige Haus in der Breestraat gekommen, in dem der Maler damals noch wohnte, um ein Inventar dessen zu erstellen, was dieser besaß. Öffentliche Versteigerungen würden folgen.
»Der Eichenholzschrank? Der größte und schönste des ganzen Hauses? Ihrer ?« hatte Tage darauf die verblüffte Mina Cloeck Bruyninghs Frau zugerufen. Sie waren sich auf dem Fischmarkt begegnet.
Letztere hatte nachsichtig mit den Achseln gezuckt und hatte eigentlich weitergehen wollen, sie trug einen Seebarsch in der Tasche. Ihr Mann hatte ihr erzählt, daß die Frau des Malers steif und fest behauptet hatte, der Schrank sei ihr persönliches Eigentum. »Tja, dann müssen die Kuratoren der Stadt eben ihre Finger davon lassen, nicht wahr?«
»Und die Bettwäsche, die man in so einem Schrank aufbewahrt, die Tischdecken, die Servietten, das Silberbesteck?«
Das auch. Alles.
Mevrouw Bruyningh erzählte, ihr Mann habe zunächst protestiert, doch die junge Frau habe nicht nachgegeben.
»Gehört mir.«
Mit einem liebenswürdigen Lächeln, zweifellos, das eigentlich sagte: Machen Sie jetzt mal weiter mit Ihrer Arbeit. Ich bringe gleich einen Krug Bier.
An jenem Tag im Juli, dem fünfundzwanzigsten, hatte der Sekretär der Konkursverwaltungskammer in Begleitung eines Schreibers bei dem Haus in der Breestraat angeklopft. Die Frau des Hauses öffnete. Frans Bruyningh verbeugte sich, ein Mantel war nicht abzugeben, was ihm insgeheim ganz recht war. Bruyningh, einem sanftmütigen Mann, stand der Sinn nicht danach, die junge Frau daran zu erinnern, daß sie war, was jeder wußte: die Magd, die die Mäntel entgegennimmt.
Sie hatte die beiden Beamten ins Vorderhaus eintreten lassen.
»Fangen Sie hier schon mal an«, hatte sie gesagt. »Mein Mann zeigt Ihnen alles, sagt Ihnen, worum es sich handelt, damit Sie es aufschreiben können.« In ihrer Stimme hatte der Ernst der Situation mitgeschwungen, doch sie war völlig ruhig gewesen.
Da die oberen Läden an den Fenstern noch geschlossen waren, herrschte gedämpftes Licht. Bruyningh empfand die physische Anwesenheit der Gemälde um sich herum sehr stark, sah sie aber kaum. Einen Augenblick lang war er sich des Lebens voll bewußt, das sich hier, im Schatten all dessen, was er gleich aufschreiben würde, abspielte. Die Türen der angrenzenden Räume standen offen, von unten kam das Geräusch plätschernden Wassers, ein Kleinkind in weißem Nachthemd lief im Licht des Hinterzimmers kurz in sein Blickfeld und verschwand wieder.
Dann: »Morgen!«
Der Maler und sein Sohn, damals vierzehn Jahre alt, begrüßten den städtischen Gerichtsvollzieher und seinen Schreiber. Keine fünf Minuten später badeten das Vorderhaus und das Nebenzimmer im kühlen Nordlicht, das durch eine ganze Fensterreihe hoch oben in der Wand fiel. Bruyningh gab dem Schreiber ein Zeichen. Dieser setzte sich mit Tinte, Feder, Sandstreuer und Papier an den Tisch.
»Was ist das?« fragte Bruyningh und deutete, noch etwas verlegen, auf das erstbeste kleine Kunstwerk an der Wand.
Der Maler stellte sich neben ihn.
Das sei ein sehr hübsches Stück von Adriaen Brouwer.
»Ja, aber was stellt es dar?«
Mit der Gelassenheit eines Heiligen erläuterte der Maler, was der andere sah. Der nickte, wandte sich zum Schreiber um und diktierte. Woraufhin Numero eins auf einer Listevon dreihundertdreiundsechzig Nummern fein säuberlich vermerkt wurde.
Ein Bildt von Ad. Brouwer, darstellend einen Kuchenbäkker .
Die kleine Gruppe begann ihre Runde im Vorderhaus und im Nebenzimmer, beides schicke Geschäftsräume mit Gemälden, die die Wände von oben bis unten bedeckten. Viele dieser zum Verkauf stehenden Werke stammten von der Hand des Malers selbst, es gab aber auch eine Vielzahl von Bildern, die er von Kollegen erworben hatte, die er schätzte. Ein Mondenschein von Jan Lievens, soufflierte der Maler. Ein Kopfbild von mir. Ein Löwenkampf, dito. Eine Vanitas von einem meiner Schüler, von mir vollständig überarbeitet. Hier haben wir eine Auferweckung des Lazarus von Jan Lievens, hier eine von mir. Diese Kreuzabnahme, ja, auch von mir. Steckt in einem verdammt schönen vergoldeten Rahmen. Und was Sie hier sehen, ist eine kleine Waldlandschaft von Hercules Seghers …
Ein Wäldtchen von Hercules Segers .
Der Unterschied zwischen dem gesprochenen und dem geschriebenen Wort steckt im Klang. Der Sohn, einen Schritt hinter seinem Vater, hörte in dessen Stimme
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