Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
passiert.
Ein Träger, gemeinsam mit dem Sohn auf dem Weg in die Breestraat, hatte die Last auf dem Kopf getragen. Er war betrunken, was aber nur ein Kenner hätte bemerken können. Es gibt Trunkenbolde, die gerade, wenn sie völlig blau sind, ohne das leiseste Zögern und mit Autorität im Blick auf ihr Ziel zusteuern. Am Fuße der kleinen, ziemlich steilen Brücke lag ein Wirtshaus, das einige Jahrhunderte später De Staalmeesters heißen würde, jetzt aber noch ganz einfachDe Balk genannt wurde, nach dem Eichenbalken, der quer über ein paar Fischtonnen an der vorderen Hauswand lag. Auf diesem Balken saßen die Freunde des Trägers.
»Klatsch doch mal in die Hände!« begann der erste.
Gelächter.
»Nicht zu dicht am Kopf festhalten, hörst du!« rief Nummer zwei. »Das nützt nichts bei einem Stück Glas. Was vorsteht, kippt immer nach vorn, das ist ein Gesetz!«
Der vorige: »Stimmt. Hände ein Stück weiter nach vorn!«
»Na ja«, mischte sich ein dritter in das Thema ein. »Und wenn es ins Rutschen gerät, das zerbrechliche Ding? Ganz sacht nach hinten, ohne daß du es merkst? Ich lasse nur eine Position gelten, wenn man so etwas transportiert, und zwar mit der einen Hand …«
Ein lautes Scheppern unterbrach ihn.
Über das Kopfsteinpflaster der Brücke kriechend, wußte der Sohn des Malers nicht, wohin er zuerst greifen sollte. Ohne den geringsten Nutzen, aber auch wiederum verständlich, daß der Junge begann, die Scherben zusammenzuschieben, das Zerstörte zu retten, und sein Gesicht trug dabei schon bald einen erstaunlich ernsten und entschlossenen Ausdruck. Inmitten eines Kreises von Zuschauern, die genauso ernst dreinschauten wie er, sammelte er die Stücke zusammen und legte sie auf einen Haufen, ganz ruhig jetzt, pietätvoll, wie einige meinten, die wußten, daß der Vater dieses Jungen schon gute zwanzig-, dreißig-, wenn nicht vierzig- oder fünfzigmal sein eigenes Antlitz nach dem Bild in diesem Spiegel gemalt hatte. Zum Schluß ist der Sohn auf den Träger zugetreten und hat ihm den Rahmen aus den Händen genommen. Ohne auch nur einen Blick auf das kleine Mahnmal aus sorgsam aufeinandergeschichtetenScherben zu werfen, ist er nach Hause gegangen. Er war schon eine Gracht weiter, da kam ihm ein kleiner Junge schreiend nachgerannt.
»Mijnheer!«
»Laß mich«, murmelte er, blieb aber trotzdem stehen.
Das Kind reichte ihm eine Scherbe, die größte von allen, die er übersehen hatte.
Jetzt standen der Maler und sein Sohn im Vorderzimmer des Hauses, in dem sie – ein Gnadenerweis des neuen Eigentümers – noch einige Tage wohnen durften. Der Sohn, zu Ende mit seinem Bericht, zog abgrundtief die Nase hoch.
»Schrecklich, Papa!«
Er hielt den Rahmen, der zwischen ihnen beiden auf dem Boden stand, noch immer fest.
Der Maler hustete. Wollte etwas sagen, konnte es aber nicht gleich. Die zwei sahen sich an, zu beiden Seiten des fehlenden Glases, oder nein, der Sohn schaute nicht wirklich, er starrte nur vor sich hin, weil ihm immer noch schwindlig war.
Der Maler sagte erst versuchsweise mit leiser Stimme: »Ach herrje« und dann mit wieder kräftigerer Stimme: »Ach, was macht das schon? Wir lassen einfach ein neues Glas einsetzen, was?«
Konzentriert blickte er in die Tiefe hinter dem Rahmen, wie er es so oft getan hatte. Mein Sohn, schien er zu denken, der mich auf jeden Fall überleben wird.
15
Rot
Es ist noch immer der dritte Mai, Sonnabend. Elsje ist tot. Der Maler, unausweichlich auf dem Weg zu ihr, dachte mit keinem Gedanken an sie. Mit einem etwas einfältigen weißen Mützchen auf dem Kopf, das war er so gewohnt, stand er vor dem Bild in seinem Malzimmer und ließ sich vom Rot von Rebekkas Kleid beruhigen, ganz in Ordnung. Auch als er unten die Tür zufallen hörte und wußte, sein Sohn war zurück aus der Stadt, dachte er nicht an das hingerichtete Mädchen. Während er den Schritten des einen jungen Mannes lauschte – der, ohne es wirklich zu wollen, doch gegen halb elf auf dem Dam gelandet war –, betrachtete er den anderen, den jungen Mann auf der Leinwand, der in gewisser Weise Isaak darstellte, einst das Kind, das dieses perverse, im letzten Moment nicht vollzogene Menschenopfer überstanden hatte. Haltung, Kleidung und dieses sympathische Gesicht. Scheinbar ohne Nachdenken von ihm aus dem Kopf gemalt. Von wem stammen diese Gesichtszüge? Der Maler, in Morgenrock und Pantoffeln, suchte es nicht herauszufinden. Daß der erwachsen gewordene Isaak große Ähnlichkeit mit
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