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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Brücke über das Wasser der Lijnbaan und gelangt zu einem der Bollwerke des Walls, der die Stadt wie ein gekrümmter Arm gegen die Ebene ringsum abschirmt. Ein guter Fleck, wo er oft gesessen und gezeichnet hat, den Sandweg, ein paar Häuser, eine verrückte Mühle, die man, damit sie genug Wind einfängt, auf vier absurd hohe Stelzen aus Backstein gestellt hat, doch heute ließ er das alles unbeachtet. Er ging einfach so dahin, schaute. Träumte, dies sei ein Tag wie jeder andere. Man braucht nicht die Wahrheit zu denken, ein zerstreuter Narr denkt, was er will. Bis auf weiteres ist die Wahrheit kein Trumpf im Spiel. Scher dich also zum Teufel.Doch was man träumt, ist ganz und gar wirklich.
    Der Maler ging über den sumpfigen Boden. »Wie das hier aussieht!« brummte er verwundert. Er blickte auf das hohe Unkraut, innerhalb weniger Tage hochgeschossen, Disteln, die sich wie Gitterzäune zu den Seiten hin verzweigt hatten, Baumstämme, deren Füße gänzlich mit Schwämmen bedeckt waren, gelblichweißen Dingern, mit Feuchtigkeit vollgesogen. In der vergangenen Woche hatten Tag und Nacht Gewitter über der Stadt gehangen, die sich immer wieder in kurzen, plötzlichen Güssen entluden. Böses Wetter. Besonders geeignet für die Flöhe, die nach dem Massensterben unter den Ratten, denen von der schwarzen Sorte, auf der Suche nach dem Blut neuer Wirte waren. Vor sechs Tagen war Ricky von einem Floh in den Hals gebissen worden, ganz alltäglich, nichts Besonderes, bei einer kleinen Ader oberhalb des Schlüsselbeins.
    Das ist ja schon keine Landschaft mehr, dachte der Maler, das sieht ja aus wie hingekotzt. Wie das Schlachtfeld auf einem Bild eines dieser süddeutschen Meister.
    Währenddessen sorgte er dafür, daß ihm sein Traum keine Sekunde lang geraubt wurde.
    Sie hatte das nicht.
    Ziemlich nah im flachen, sich bis nach Haarlem erstreckenden Land lag das Pesthaus. Das wußte er sehr wohl. Er hatte das Außenspital, dieses Stück Hölle auf Erden, das wie ein Kreuzgang mit vier schroffen Flügeln um einen Innenhof herumgebaut war, mehr als einmal gezeichnet. Einer Illusion gleich hinter einer Baumlinie, mit einer braunen Feder, die das hellbraune Papier lediglich angestippt hatte, wie ein Geist. Auf dem Wasser im Vordergrund ein Kahn mit einem Fährmann. Er wußte, daß in diesem Sommer schon wieder jede Menge Kranker dort abgeliefert worden waren.Die heiße Krankheit machte keinen Unterschied zwischen arm und reich, im Prinzip nicht, aber es waren doch in erster Linie die armen Schlucker aus den Elendsbehausungen, die die kleine, das Wasser dreimal überspannende Brücke hinaufgeschleppt wurden und nicht auf Rückkehr zu hoffen brauchten. Der Friedhof, auf der Zeichnung nicht zu sehen, nicht mit den Augen, lag im Westen.
    Aber sie – er drehte abrupt um, hatte Lust auf einen Pfeifenkopf in der Hand, Lust auf Rauchwolken um den Kopf – aber sie hatte diese Krankheit nicht! Ricky war ein Juwel von einer Frau. Sie hatte dichtes haselnußblondes Haar, ein rundes Gesicht, blaugrüne Augen, die liebevoll auf einen gerichtet waren, ja, aber provozierend gewappnet mit Verstand. Ihre Beine waren gerade, die Arme weich, ihre Brüste ebenfalls, der Mund mit einer noch fast vollständigen Garnitur regelmäßiger Zähne war, wie er es nannte, ein lächelnder und oft sogar in sich gekehrter Mund, kein schallend lachender. Ihre Haut war warm, durch und durch gutwillig, und darauf kam es bei einer Frauenhaut ja auch an, meinte er.
    Als er nach Hause kam, waren alle beunruhigt.
    »Sie zittert vor Fieber«, sagte sein Sohn, der ihm an die Tür entgegengegangen war. »Und am Hals …« Anstatt seinen Satz zu beenden, zog er ihn am Arm die Treppe hinauf.
    In seinen schlammigen Stiefeln stand er neben dem Bett.
    Das ist es also, dachte er, während er auf sie hinunterstarrte.
    »Mach, daß du hier wegkommst, Neelie«, murmelte er, ohne das Mädchen anzusehen, das sich ans Kopfende gestellt hatte, um ihm Platz zu machen. Das Kind hielt einen zusammengeknüllten nassen Lappen in der Hand, mit dem es die kleine Bißwunde an Mutters Hals, gestern nocheine Blase, inzwischen ein Stück abgestorbene Haut, ein Schmutzfleck, hatte betupfen und abreiben wollen.
    An diesem Abend übte er sich in der Kunst, mit aller Kraft, die in ihm war, bei seinem »Nein!« zu bleiben, während er mit seinem Sohn bei ihr saß. Gab er ihr zu trinken, dann spürte er heiße Schweißtropfen auf seine Hände fallen. Nachts lauschte er schlaflos ihrem Gemurmel,

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