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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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Umständen geöffnet werden. Die Frau ging sofort zu der Patientin, sie bedeutete dem Sohn, auf die Seite zu treten, und Mie Magdaleen, an der Wandseite aufs Bett zu krabbeln, sie stellte ihre Tasche auf die Bettdecke und zog mit dem Fuß gleichzeitig den Hocker heran, um sich zu setzen – sie sah sich um.
    Der Maler stand am Fenster. Er sah ein prüfendes Frauengesicht auf sich gerichtet, mit grauen Augen, die für einen Moment groß wurden.
    »Sie«, sagte sie barsch. »Tun Sie uns derweil einen Gefallen und schlagen Sie diese Mistfliegen tot.«
    Die Luft in dem Raum war tatsächlich voll von ihrem Summen und Brummen.
    So daß er, als Mie Magdaleen den Kopf ihrer Herrin zwischen ihren Händen festhielt und mit dem Knie einen Arm fixierte, nicht sah, wie die andere Frau schnell und geschickt einen Einschnitt in das erste Geschwür machte, weil er mit einem seiner Pantoffeln in der Hand auf das Fenster zuschlich. Die Pestmeisterin arbeitete fachkundig, mitleidslos. Ricky jammerte leise und biß sich die Unterlippe blutig, daraufhin bekam sie ein Tuch zwischen die Zähne. Ihr Mann sah nicht, wie sie die Fäuste ballte, den Körper hochstemmte und zu einem Bogen spannte, hörte aber, als er ein paar Fliegen auf dem Fußboden traf, große Exemplare, die Blutspritzer hinterließen, das leise Stöhnen, das sie manchmal auch während ihrer Liebesumarmungen von sich gab. Nach ungefähr zehn Minuten war es vorbei. Die Pestmeisterin packte, ohne sich mehr um die Anwesenden zu kümmern, ihre Tasche und sagte, sie finde den Weg zur Tür schon allein. Er ging zum Bett und sah, wie Ricky wieder zusich kam. Sie erbrach ein wenig, ließ es ihn abwischen. Ihre Augen wurden weiter und blauer, als sie ihn erkannte, und sandten mühsam, gleichsam Wort für Wort, eine Botschaft aus. Postskriptum zu ihrem letzten Gespräch.
    Ich bin noch da, siehst du, mein Herz. Und ich bleib’ da.
    Im Laufe des Freitags und Samstags fanden er und sein Sohn wieder zueinander. Gespräche führten sie nicht. Die Wut, die den Sohn umgab, zornige, zu seinem Alter passende Empörung, eignete sich nicht gut für Worte, auch nicht für verdächtige Worte. Gott, den es gab, warf den Hochmütigen zu Boden. Es ging nicht gut. Ricky hörte nichts von dem hartnäckigen, endlosen Fingerknacken ihres Stiefsohns, das ihr früher immer so auf die Nerven gegangen war, jetzt wohlgemerkt dicht an ihrem Ohr. Und was seine rasenden Gedanken währenddessen dachten, rein aus sich selbst heraus, ohne sein Zutun – Gott ist nicht christlich –, hörte sie schon gar nicht. Sie schwitzte, redete irre und war entgegen ihrem Willen im Begriff zu sterben. Sollte man nicht einen Pfarrer rufen? Die Krankheit verlief wieder einmal ungemein schnell, aber es gab Momente, in denen Ricky noch so weit bei Bewußtsein war, gerade noch, um ein paar erbauliche Worte mitzubekommen.
    Es ist nicht bekannt, ob sie im Haus an der Rozengracht darüber gesprochen haben. Ein Haus, in dem die Pest herrscht, ist ein geschlossenes Haus, ohne Nachrichten. Bewohner dürfen sich nur nach Sonnenuntergang auf der Straße zeigen, Nachbarn dürfen nicht kommen, um zu helfen oder zu wachen, und Besuch ist strengstens verboten, nur Amtspersonen haben noch Zutritt. Zu diesen gehören sicherlich die Pfarrer, natürlich, dennoch hielt die Stadt Amsterdam es für besser, auch sie als Berufsgruppe so weitwie möglich in petto zu halten. Man stellte ein kleines Heer von Pestkrankentröstern ein. Gutgesinnte und selbstverständlich auch gutbezahlte Leute mit befristeten Verträgen, die die passenden heiligen Texte kannten. Es ist völlig undenkbar, daß der Maler die für sein Wohnviertel zuständige Person, einen wegen der Seuche nicht mehr aktiven Aalverkäufer, in sein Haus gelassen hat.
    Am Samstagabend hat er das Dienstmädchen in die Küche geschickt, um für seinen Sohn und seine Tochter Essen zu machen, er selbst ging wieder nach oben. Der Gestank des Krankenzimmers störte ihn schon lange nicht mehr. Er hatte sich ans Fenster gesetzt. Die ihm den Rücken zukehrende Gestalt lag im Koma oder schlief vielleicht. Das war alles, Stille, eine Zeitlang. Kurz nachdem es zehn Uhr geschlagen hatte, zündete er die Lampe auf dem Tisch an. Im Kopf den Singsang eines Gebets zu Rochus, dem Pestheiligen – seine Mutter war katholisch gewesen und bis zu ihrem Tod geblieben –, starrte er weiter halb schlafend, mit offenen Augen träumend in Richtung des Alkovens in der schummrigen Ecke. Als seine erste Frau im Sterben

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