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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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gelegen war, hatte der damalige Pfarrer der Oude Kerk, zugleich ihr angeheirateter Cousin, genau im richtigen Moment leise das Zimmer betreten, um mit ihr zu beten. Der tieferschütterte Mann, in schwarzes Tuch gekleidet, hatte sie sehr gemocht.
    Bei Ricky lagen die Dinge anders. Ein seelsorgerischer Besuch an ihrem Sterbelager hätte ihr anstatt Seelenruhe womöglich etwas ganz anderes beschert: die erneute Halsstarrigkeit von vor einigen Jahren, als sie vom Rat ebendieser Oude Kerk nicht weniger als viermal ermahnt worden war, vor ihm zu erscheinen, um über ihr außereheliches Sexualleben zu sprechen.
    »Diesmal geh’ ich hin«, hatte sie ihm an jenem Julitag mitgeteilt.
    »Tu’s nicht«, sagte er wie bei den vorigen drei Malen.
    Das war noch in dem Haus an der Breestraat gewesen. Er erinnerte sich, wie sie ihm vom Spiegel aus, vor dem sie sich gerade ihre Ohrringe anlegte, ein leeres, in sich gekehrtes Lächeln zugesandt hatte. Fast schon im sechsten Monat schwanger. Noch immer hatte sie eine Taille. Ihren hohen, harten Bauch sah man unter den Kleidern kaum. Saß sie ihm ohne diese Kleider Modell, während sie einen simulierenden Zeh zum Wasser der fürstlichen alttestamentarischen Kulisse um sie her auf der Leinwand ausstreckte, so kamen ihm ihre volleren Schultern gerade gut zupaß, den Bauch flachte er zu dem Bauch von vor einem halben Jahr ab, ihr Gesicht malte er sowieso anders als ihr wirkliches Gesicht, und den Blick veränderte er in nachdenklich, in doch-ein-bißchen-sehr-sehr-besorgt. Sie hielt einen Brief in der Hand. Ein König lud sie in sein Bett.
    »Ich geh’ hin.«
    Er hatte schon die Schuhe anziehen wollen, um sie zu begleiten, doch sie hatte gesagt, das sei Unsinn. Ob er denn vergessen habe, daß er nicht einmal kirchlich registriert sei? Als sie um fünf zurückkehrte, war ihr Gesicht unbegreiflich heiter gewesen, im Grunde richtig froh. Wie ist es gelaufen, hatte er gefragt, worauf sie antwortete, der Pfarrer sei unglaublich streng und böse gewesen.
    »Das heißt, du heiratest nicht? hat er mich zweimal gefragt, und ich habe gesagt nein, nein, hab’ ich gesagt.«
    Sie hatte ihr Kopftuch abgelegt, die Finger ins Haar geschoben, um es ein wenig zu lockern, und ihm erzählt, daß sie nicht mehr am Heiligen Abendmahl teilnehmen dürfe.
    »Und dein Kind wird ein illegitimes Kind sein, hat er gesagt.«
    Sie hatten sich weiter angeblickt, sie mit diesem Glück in den Augen, für das seiner Ansicht nach an diesem Tag überhaupt kein Grund bestanden hatte.
     
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag wollte er es nicht mehr sehen. Die Erkenntnis, daß er praktisch Witwer war, daß er sich die Zukunft, unvermeidlich wie das Wetter, als Leere vorstellen mußte, in der es sie nicht mehr gab, das war es nicht, was ihn in dieser Nacht umwarf. Auch nicht ihre würgende Atemnot, ihr Irrereden, ihr zeitweiliges Geschrei und auch nicht ihre Schmerzen. Was ihn umwarf, war ihr Lebenswille. Sie atmete schwer, die meiste Zeit mit geschlossenen Augen, doch wenn sie sie aufschlug, suchten sie ihn und begannen ihm ohne Pardon eine Frage zu stellen, die er zwar nicht verstehen konnte, aber dennoch begriff. Sie kannten sich schließlich durch und durch. Diese Krankheit kann sich spektakulär grausam aufführen. Je mehr Zeit die Pest bekommt oder sich nimmt, um so zahlreicher werden die Geschwüre, auch unter der Haut, wo sie überall Blutergüsse verursachen. Er brauchte ihr Nachthemd nicht hochzuziehen, um zu wissen, daß sie aussah, als hätte man sie mit einem Karabinerkolben traktiert. Kurz bevor es draußen wieder hell zu werden begann, schlug sie erneut die Augen auf, er sah, wie ihr Blick abdriftete von der Schwelle zu einer Welt, von der sie überhaupt nichts wissen wollte, ungesehen, hin zu der Welt, der sie aus tiefstem Herzen vertraute.
    Sein Gesicht, das ihr etwas vorlügen mußte.
    Ich werde also nicht sterben?
    Ihr letzter Sonntag war ein Tag, an dem für ihn alles auf Distanz geschah, stillstand, ohne ihn irgendwie einzubeziehen, und sich dann wieder in Bildern zu bewegen begann, deren Echtheit er im nachhinein nicht immer traute. Es war nach wie vor sehr warm im Zimmer, er hörte den Südwestwind an den Fenstern, sah, wie sie ziemlich hoch in den Kissen lag und atmete, stockte, wieder weiteratmete. Einmal lächelte sie, murmelte etwas und streckte ihre gespreizte Hand dorthin aus, wo er zufällig stand. O mein Mädchen. Meine Träume sind immer schrecklich banal, hatte sie ihm mal erzählt, sie spinnen

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