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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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gesehen hat, daß ein Kranker, so schlecht es ihm auch gehen mag, noch immer voll und ganz lebt, betrachtete er ihre Totenfarbe. Kölnische Erde und Weiß, Umbra und Weiß, Schwarzlack und Weiß, bläuliches Violett, Fahlgelb, Blaßgrün wie von der unreifen hellen Traube.
     
    Der Maler betrachtete das Kleid.
    Rot ist eine Farbe, die über sämtliche Grenzen wogt. Die Lösung, die das Bild von ihm verlangte, war einschneidend, aber schnell und geschickt wie das Messer, das dabei zum Einsatz kam. Nicht nur mußten die Bewegungen des Paars bis zum äußersten stillgestellt werden, auch das Bild selbst mußte auf sein wahres Motiv reduziert werden. Intimität des Golds des Mannes mit dem alles überstrahlenden Rot der Frau. Nur das, nichts anderes. Wenn er also auf der rechten Seite den Palast einschließlich des Voyeurs abschnitt und oben den hohen Innenhof wegnahm, würden sie, die Liebenden, seit vielen Jahren verheiratet, übrigbleiben.
    Seine Augen kehrten zu dem Rot zurück. Die Hand des Mannes breit auf der linken Brust der Frau. Ihre Hand leicht auf seiner liegend, lediglich mit den Fingerspitzen, die in ein und derselben Geste etwas empfangen und erwidern.
    Was?
    Daß das Glück vor allem etwas Vergangenes ist?
    Wie eine Bewegung immer etwas von einer anderen, früheren Bewegung in sich hat, so erinnert das eine Rot auch immer an ein anderes. Eines Tages war aus der roten Flanke eines geschlachteten Ochsen eine ganze Wolke fliegender Käfer entwichen.
    Sie hatten beide verblüfft hingeschaut.
    »Ich traue meinen Augen nicht«, hatte er gesagt.
    »Schau doch, wie tapfer sie sich aus der Farbe herausarbeiten«, sagte sie.
    Sie war, die Hand erstaunt vor ihrem lachenden Mund, ein paar Schritte vorgetreten zu dem Bild auf der Staffelei schräg gegenüber dem Fenster.
    »Wie sie aus dem Dunkel hervorkriechen und dann ihre winzigen Flügel ausbreiten!«
    Der Ochse war auf eine Buchenholztafel gemalt. Weil Eiche wegen des Kriegs in letzter Zeit schwer zu bekommen war, hatte er eben eine alte Tafel aus seinem Vorrat genommen, ein etwas kümmerliches Stück Holz, das aber, wenn man die Ritzen und Wurmlöcher zustopfte und mit hellbrauner Grundierung überstrich, durchaus noch zu gebrauchen war. Er hatte sich an die Arbeit gemacht. Sommer. Während der Ochse aufgeschnitten und mit gespreizten Hinterbeinen an einem Balken aufgehängt wurde, entwickelten sich unter und in dem fettgemästeten Tier die Larven des Holzwurms zu Käfern. Anobium punctatum liebt ganz gewiß die Eiche, bevorzugt jedoch die Buche.
    Sie hatten neugierig, ein wenig erschrocken, weiter zugeschaut. Sie, sich auf die Unterlippe beißend, ihr entzücktes, aber auch etwas nervöses Lachen unterdrückend. So ein Ochse war bei den Kunstkäufern beliebt. Die Gedanken höherer Ordnung, denen dieses Stück Schlachtvieh Ausdruck zu verleihen vermochte – über den Profit im Fleischhandel, über rechtzeitige Bevorratung, über den Monat November, über den Tod –, eigneten sich ganz besonders für den Ehrenplatz über dem Kamin in den Wohnstuben Amsterdams.
    »Die schaffen es, schau«, murmelte er fasziniert.
    Daß er das Werk nachher wieder gründlich herrichten mußte, störte ihn nicht.
    »Ich glaub’, ich mach’ mal das Fenster auf«, sagte sie.
    Er nickte.
    Und dieser Ochse war wirklich enorm gewesen. Das kopfunter aufgehängte Geschöpf drückte nichts anderes aus als seinen vergeblichen, gewaltigen Lebenswillen. Der Maler hatte das Tier mit kurzen, rasenden Strichen angelegt. Der Kopf war abgeschlagen, das heißt keine Zurschaustellung von Machohörnern, und auch die Geschlechtsteile fehlten. Doch die freigelegten Rippen, die Muskeln, das Fett und vor allem das ergreifende Pathos des weit vorragenden, seiner Blasebälge entledigten Brustkorbs sagten zwingend: Dies bin ich, ecce bovis .
    Sie hatte das Fenster aufgestoßen. Aus der Bäckerei gegenüber strömte der Duft noch warmer Zuckerbrote herein. Als ob die zu einem anderen Leben erweckten winzig kleinen Tierchen das röchen, entschlüpften sie jetzt beschleunigt dem Rot des Gemäldes, dem getrockneten Blut der Flanke.
    »So was aber auch!«
    »Ja, verrückt, nicht …«
    Sie waren beide ein wenig beiseite getreten, als das summende schwarze Wölkchen, das Trauermemento im Hintergrund, nach draußen flog, als wüßte es, wohin es fliegen mußte. Wie es leben mußte. Das eine Verlangen eingetauscht gegen ein anderes.

16
Der Aufschub
    Währenddessen erhält die Reise der jungen Dänin nach

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