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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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einfach das fort, was ich an dem Tag getan habe, kochen, mit jemandem reden, ein Pferd betrachten. Ihre Hand war feucht und glühend heiß.
    Hinter ihm stellte jemand die Lampe auf den Tisch, schob das Töchterchen von der Tür weg.
    »Gehen Sie hinunter und trinken Sie ein Glas«, sagte irgendwann die Pestmeisterin, die gerade im Begriff war, ein Laken, das ihm wie ein Leichentuch erschien, auf dem Bett auszubreiten.
    Er hatte nicht einmal gemerkt, daß sich die überlastete Heilkundige die Mühe gemacht hatte, noch einmal vorbeizuschauen.
    Er gehorchte, saß eine Weile auf dem Stuhl neben dem erloschenen Herd in der Küche.
    Als er danach aus dem Malzimmer im ersten Stock hinausschaute, sah er seinen Sohn die Rozengracht entlangkommen, was am hellichten Tag nur eines bedeuten konnte, Kirchgang. In der Westerkerk war an Sonntagen für alle, die unter die Quarantänevorschriften fielen, ein abgetrennter Raum eingerichtet. Dies geschah aus Nächstenliebe, aber auch aus praktischen, theologisch-medizinischen Gründen.Buße tun half, hämmerten die etwas bedächtigeren Pfarrer den sterbensbangen Kirchgängern ein. Verschenke eine Schiffsladung Korn. Meide das Bordell. O ja, seinen Sünden abzuschwören konnte tatsächlich zu Genesungen führen, dafür gab es Beispiele.
    »Es ging um Gottes Zorn«, berichtete ihm sein Sohn kurz darauf.
    Seine Stimme klang so abwesend und seine Miene war so bestürzt, daß er genausogut hätte sagen können: »Heute abend gibt es bestimmt einen wunderbaren Sonnenuntergang.«
    Als hätte er das tatsächlich gesagt, tastete der Maler mit Kennerblick den Himmel über den Häusern gegenüber ab. Regenwolken bei Südwestwind können sehr schön sein, schön wie die des Kollegen Ruysdael, mit diesen scharfen weißen Rändern. Sie brechen auf und segeln vorbei. Wie schnell das gehen kann!
    »Die Sünde ist die Gebärmutter aller Seuchen«, sagte derweil der leise weinende Junge neben ihm. »Fressen, saufen, huren, prosten, aufschneiden, schlemmen, würfeln, tanzen, prassen, protzen, prahlen …« Die Predigt war diesmal nicht von dem guten, braven Psalm 91 ausgegangen, was sehr wohl möglich gewesen wäre – Daß du nicht erschrecken mußt vor dem Grauen der Nacht –, sondern von Römer 2, Vers 5. Der Ton selbstverständlich entsprechend.
    Der Maler war nicht dabeigewesen, als seine Frau, am Montag im Morgengrauen, starb. Alles deutet darauf hin, daß er es nicht mit ansehen konnte, wie sie bis zu den letzten Atemzügen mit Rettung rechnete. Es wehte kein Wind mehr an diesem Morgen, und es regnete auch nicht mehr. Es gab nur das graue Dunkel des noch nicht ganz angebrochenenTags. Und den Raum, der sich perspektivisch zu dem Bett hin verengte, in dem sie sich aufzurichten versuchte. Das letzte, was er gesehen hatte, bevor er auf den Gang hinaustrat, war, wie sein Sohn den Hocker heranzog und ihr ins Ohr zu sprechen begann. Seine Haltung und auch sein Gesichtsausdruck, so würde ihm eine Erinnerung später sagen, hatten ihn stark an die des jungen Mönchs erinnert, der seiner Mutter auf ihrem Totenbett die Sterbesakramente gespendet und ihr zum Schluß in kraftvollem Latein zugeflüstert hatte: »Fahr hin, du Christenseele, aus dieser Welt! …«
    Er sollte gar nicht erst fragen müssen.
    »Ich habe ihr gesagt«, erzählte sein Sohn ihm später, »daß wir, wenn es ihr in der nächsten Woche wieder besserginge, als erstes in das Auktionshaus an der Keizersgracht gehen würden, um den Warenbestand im Geschäft aufzufüllen. Das ist wohl notwendig, Mama, zum Kuckuck! Ich habe ihr gesagt, daß wir auf unserem Spaziergang dorthin wahrscheinlich großes Glück mit dem Wetter haben würden, der Enkhuizer Almanach hat Sonne und frischen Wind für den Rest des Monats vorausgesagt und auch für den nächsten Monat. Wir würden, hab’ ich gesagt, zuerst ein paar schöne, nicht zu teure Gipsabgüsse kaufen, eine Venus, eine Callisto, eine Persephone oder so, je nachdem was sie da anbieten, und danach, hab’ ich gesagt, würden wir zum Stadttor gehen und mit der Treckschute nach Ouderkerk fahren, wo wir uns auf die Terrasse von De Koe setzen und in aller Gemütlichkeit auf den Fluß schauen würden, die Boote, die Ruderer, die Sänger, die Mühlen. Ich hab’ gesagt, ähm … na ja, alles mögliche …«
    Die Hähne hatten schon mehrmals gekräht, als er zu dem Bett trat, in dem jetzt alles vorbei war. Sein Atem stockte.Mit einem Schrecken, wie ihn nur der empfinden kann, der erst vor ganz kurzer Zeit

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