Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
etwas von der Natur der Sache her Göttliches gar nicht erlaubt.«
Der Maler spürt, wie er leicht errötet. Nicht wegen des Zweiten Gebots, um das sich Amsterdam weiß Gott nicht groß schert, sondern vor Vergnügen über das kollegiale Gespräch.
»Och«, sagt er ausweichend, und nach kurzer Pause: »Man hielt sie für unfertig, nicht wahr, die Bilder, die man nach Ihrem Tod umgedreht an der Wand fand.«
Seine Stimme klingt sanft, solidarisch und ein klein wenig neugierig.
Der andere lacht wie jemand, der sich noch gut daran erinnert, was Ärger ist, sich seine gute Laune dadurch aber nicht mehr verderben läßt.
»Die meisten waren fertig. Hab’ ich nicht gesagt und haben sie nicht gesehen. Die meisten waren genau richtig, non finito , das schon, aber basta ist basta.«
»Einverstanden. Hat man erreicht, worauf man aus war, dann sollte man die Finger von der Sache lassen!«
Das vertrauliche Gespräch wendet sich in angenehmer Weise den Porträts zu, die sie beide in großer Zahl angefertigt haben.
Lukrativ.
»Das sowieso.«
Zufrieden denkt der Maler an eines seiner besten Selbstporträts – eine Tizian direkt abgeschaute Pose – und verbeugt sich höflich. Augenblicklich wird die Verbeugung erwidert und von einem sachkundigen Kompliment zu dem Gesichtsausdruck in diesem Porträt begleitet. Vollkommen lebensecht, natürlicher als natürlich, ein Wunder, wie du das jedesmal wieder hinkriegst! Der Maler grinst. Und findet dann nicht genug Worte, um die Porträtkunst des anderen zu loben. Es juckt einem in den Fingern, das nachzuahmen! Verständnis des einen Fachbruders für das Können des anderen. Dann schweigt er kurz. Bestimmte Modelle des genialen Kollegen kommen ihm in den Sinn.
»Wie die schauen, sitzen, in der allergrößten Vollkommenheit. Die kommen beim Jüngsten Gericht bestimmt durch, will ich meinen.«
Der Maler gehört einer Zeit an, die eine göttliche Absicht hinter der Schöpfung und die Wiederauferstehung der Toten widerspruchslos akzeptiert. Während er noch über die letztgültige Rechtsprechung an jenem letzten Tag nachsinnt und sich dabei die ganze Zeit der Anwesenheit des venezianischen Meisters bewußt ist, kommt er wie von selbst auf dessen Maria Magdalena zu sprechen. Daß der Sünderin das Haar über Schultern und Busen fällt, weiß er. Bis zu seinem Konkurs besaß er zu Hause eine Radierung dieses Werkes. Daß die Haarpracht golden ist, der Busen elfenbeinweiß und daß die mit reuevollen Tränen gefüllten Augen leicht gerötet sind, hat er seinerzeit von seinem ersten Lehrmeister gehört, der, wie alle anderen, nach Italien gereist war.
»Er hat mir erzählt, daß man als Mann und Künstler kein Auge von ihr lassen konnte und trotzdem keine körperliche Wollust verspürte.«
»Nein?« Der Katholik aus dem sechzehnten Jahrhundert scheint überrascht.
Der Maler hat sich von der Fensterbank umgedreht. Er sieht seinen Gast, einen alles andere als toten Vorfahren, mit dem er schon seit Jahrzehnten verkehrt, gemütlich auf dem Stuhl neben dem Torfofen sitzen. Die gutaussehende Erscheinung betrachtet ihn aufmerksam. Vor rund hundert Jahren hat dieser Künstler jenen besonders schönen liegenden Akt geschaffen, die kühl-klassische Schönheit, an die der Maler in diesem Augenblick intensiv denken muß. Ich wurde sofort davon angesteckt, erinnert er sich murmelnd.
»Ja, das hat mich furchtbar in Rage gebracht!«
Auch das Gemälde dieser Frau hat er nicht in Wirklichkeit gesehen. Was auch nicht unbedingt nötig ist. Du kannst einfach eine der vielen Kopien studieren, die unheimlich populäre Venus bis ins Detail erforschen, um sicher zu sein, daß du weder den kleinen Kopf mit dem schlangenartigen Blick noch die träge ausgestreckten, für immer in dieser Position zufriedenen Beine und auch nicht die unwahrscheinlich vollkommenen Brüste und die ebenso vollkommene Bauchpartie für die eigene Danae verwenden kannst. Was deine Augen festhalten – stehlen würde man in späteren Jahrhunderten sagen –, ist der Arm, auf dem sie ruht, die Komposition und die erregende Vorstellung eines Akts in natürlicher Größe. Und gut, okay, auch noch ein paar andere Dinge wie die Rundung der Matratze, ein kleiner Tisch, ein gefältelter Vorhang … Kurz und gut, du fängst an. Du machst den Kopf wieder vollkommen leer und beginnst die Frau zu malen, die direkt aus dem wirklichen Leben davongelaufen ist, dein williges Mädchen, das dennoch seine eigene Geschichte hat – auf phantastische
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