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Maler und Mädchen - Maler und Mädchen

Titel: Maler und Mädchen - Maler und Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
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dennoch sehr mitgenommen war. Während er erzählte, versagte seine Stimme manchmal ganz.
    »Ja, wir waren rechtzeitig da. Man hatte sie, glaube ich, gerade hereingebracht. Sie stand ganz allein vor dem Schultheiß. Ich sah, wie sie sich einmal über den Rock strich, einfach so, ganz ruhig eigentlich, man konnte ihr noch gar nicht ansehen, was ich später sah, daß sie … daß sie ein verdammt rebellisches Mädchen war. Sie strich sich mit beiden Händen über den Rock. Dunkelrot war der, und die Jacke leicht violett, und das Häubchen weiß …«
    Der Maler begann das Mädchen zum erstenmal wirklich vor sich zu sehen. Das heißt, er erblickte sie durch die Erschütterung in den plötzlich wieder naiv-kindlichen Augen seines Sohnes.
    Eine Weile sagten sie nichts.
    »Wie müssen die Reliefs an der Rückwand, genau ihr gegenüber, sie erschreckt haben«, überlegte dann, sich in sie hineinversetzend, der Maler, der wie seine Zeitgenossen noch die gespenstische Kraft der Bilder erkannte, eine lebensechte Beseeltheit, die in späteren Jahrhunderten völlig verwässert werden würde. Er wußte, daß das vorgeführte Mädchen von zehn strengen Männern gemustert worden war, die aufgereiht mit dem Rücken zu einer Serie von drei hoch über ihnen aufragenden Szenen saßen, eine schrecklicher als die andere.
    Ein Vater und ein Sohn, denen jeweils ein Auge ausgestochen wurde.
    Zwei Mütter und ein Baby, das jeden Moment in zwei Teile gehackt werden konnte.
    Ein Brüderpaar, einer der beiden bereits auf Knien, dem ein muskulöser nackter Kerl mit einem Beil zu Leibe rückte (Enthauptung).
    Dies alles im allersanftesten, geheimnisvollsten Fluidum von außergewöhnlich kundig und liebevoll bearbeitetem cremeweißem Marmor aus den Steinbrüchen von Carrara.
    »Wahrscheinlich schon.«
    »Ja.«
    Der Maler wandte den Blick zu der Ecke mit dem Herd, auf dem das Dienstmädchen eine wohlschmeckende Kakaomelassemischung warm hielt. Er legte seine Pfeife hin. Mit den Gedanken noch bei dem Augenausstechen, der Szene links, die ihn persönlich am stärksten berührte und die er auch für die gelungenste hielt, stand er auf und griff nach der Kanne.
    »Ist da noch was drin?« brummte er.
    Als er sich wieder umdrehte, schien der Sohn seinen Gedanken gefolgt zu sein.
    »Erschrocken, meinst du, na ja, vielleicht ist sie erschrocken, Vater. Aber dann nur über diese eine Szene direkt vor ihr, diese Sache mit dem Baby, denn sie hat ihren Kopf nicht einmal gedreht.«
    »Nein?«
    Wieder sahen sie sich an. Der Sohn, der wußte, daß sein Vater in letzter Zeit nachts kaum in den Schlaf fand, etwas gebeugt ging, mit weniger Appetit aß, was aber auch von dem Verlust eines weiteren Zahnes herrühren konnte, fast niemanden mehr besuchte und manchmal grundlos lächelte, wahrscheinlich wenn er an Ricky dachte. Der Vater,der schon seit einer Weile der Meinung war, sein längst erwachsener Sohn solle endlich heiraten, eine Familie gründen und in eine neue Lebensphase eintreten. Dieser Vater hatte seinen Sohn schon oft porträtiert und als Modell für verschiedene Figuren genommen. Sein inneres Auge prophezeite ihm mühelos, wie der Jungmännerblick, aufgeweckt, verträumt, und wie die Haut der Wangen und die Farbe des dicken, lockigen Haars sich mit den Jahren verändern würden, die Gott nach Seinem Willen dem Jungen noch so reichlich vorherbestimmt hatte. Der Maler beobachtete zerstreut, unwillkürlich, wie er es gewohnt war, die Gesichtszüge seines Sohnes und zeichnete sie in Gedanken nach. Ohne daß er selbst es im mindesten ahnte, sprach das oben auf der Staffelei wartende Bild bereits von den künftigen Linien. Wäre es nicht wie ein Fluch gewesen, ein augenzwinkerndes Einverständnis, wenn er sich, und sei es auch nur für einen Moment, vorgestellt hätte, was geschehen konnte, jederzeit in diesem Leben, und was in vier Jahren, vier Monaten und vier Tagen auch tatsächlich geschehen würde: der Tod des frischvermählten jungen Mannes, während sein erstes Kind unterwegs war?
    Noch nicht, noch nicht! Was ist, solange du lebst, die Grenze deines Lebens? Deine Tage mögen vom Oberbuchhalter gezählt sein, aber jedenfalls nicht von dir. Vorläufig saßen Vater und Sohn noch ohne die geringste Eile in der Küche und tranken einen Rest lauwarmen Schokoladengetränks. Und dachten beide, der eine nach der Wirklichkeit, der andere illusionistisch, an ein Mädchen in einem grobwollenen dunkelroten Rock.
     
    Das die grauenhaften Abbildungen natürlich

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