Maler und Mädchen - Maler und Mädchen
einem Moment, stolz: »Wir und die Besatzung.«
»Ah«, sagte sie. »Soso. Und ihr habt immer weitergesungen. Das Lied hört nie mehr auf, hab’ ich gedacht.«
Sie schwiegen einen Augenblick.
»Es ist das Lied von einem Ochsen«, sagte der Junge.
Bevor sie wußte, wie ihr geschah, begann er zu singen, mitseiner Tagesstimme, doch der schleppende Klang der Nacht schwang trotzdem darin mit.
Wi magren Ossen wer’n ins fette Gras gedreven. Wi grasen för’t Beil und nich för’t sute Leven …
Ach! dachte sie, und wie er dabei schaut!
Und ach! dachte sie in dieser Nacht wieder, als sich aus dem Chor die Stimme löste, die sie kannte. Im Halbschlaf und so mühelos, als wüßte sie den Text auswendig, verfolgte sie, was der zum Tode verdammte Ochse mit lauter Jungensstimme vortrug: Un so vreet ook de Mensch sich saftig fett un groot. Je hastiger er grast, je näher kommt de Dood.
»Du, ich weiß nicht, aber mir wurde ganz kalt«, würde sie am nächsten Morgen zu dem Jungen sagen. »Ich hab’ mir die Decke über den Kopf gezogen und doch weitergezittert!«
Leider gab es in den darauffolgenden Nächten wenig zu singen. Es war die Jahreszeit der plötzlich aufkommenden Nordweststürme. Unweit der Heimat, lediglich vier Meilen von den Wattenmeerinseln entfernt, geriet die Schmack in ernste Schwierigkeiten, als bei einem unerwarteten Roller die Anbindestricke der Ochsen rissen und ein großer Teil der Ladung nach Lee geschleudert wurde. Mit schwerer Schlagseite, trotz geschlossener Luken Wasser machend, kam der Moment, in dem das steuerlose Schiff seinem Ende entgegensegelte und dann doch – einzige wissenschaftliche Erklärung die unerschöpfliche Trickkiste des gutmütigen Gottes – mit knapper Not davonkam. Als Elsje am Morgen des zwölften April wieder an Deck erschien, war die See ruhig, und es flogen jagende Möwen ums Schiff, weiße Tiere mit scharfen schwarzen Augen. Das Schiffsvolk war damit beschäftigt, acht tote Ochsen über Bord zu schaffen. Die Männer hievten die Kadaver mit einer Winde aus dem Laderaumund schoben sie über das klatschnasse Deck zur Reling, wo sie den letzten Tritt gegen das Hinterteil bekamen. Aus ihrer Todesnot wieder erwacht, sangen sie dabei das erstbeste Lied, das ihnen in den Sinn kam.
Der Himmel war blaßblau, jede Wolke silbergerändert. Ein typischer Amsterdamer Himmel. Das Schiff hatte noch nicht am östlichen Hafenkai angelegt, da wurde es schon von einer Schar alter Kerle gestürmt, die berechtigt waren, die Ochsen über eine Laufplanke an Land zu bringen. Mitten in dem daraus entstehenden Trubel befand sich ein Mädchen, auf das zunächst niemand achtete. Sie ging mit vorsichtigen Schritten über die Planke zum Kai hinunter, schnupperte die feuchte Temperatur, sah sich um. Beim Kaffee- und Kakaohaus Zum strahlenden Türken standen immer ein paar Frauen, um die Passagiere, die von den Schiffen kamen, abzupassen und zu taxieren. Herbergswirtinnen, Geldwechslerinnen, Vermittlerinnen für Haushaltsangestellte. Die Republik warb zu jener Zeit elfhundert neue Dienstmädchen pro Jahr an, behandelte sie human und bezahlte sie sogar eine Spur besser als die gleichfalls bequem von Norden zu erreichenden deutschen Länder, das konkurrierende Pommern oder Schleswig-Holstein.
»Hast du schon einen Schlafplatz, Kind?«
Jemand hatte ihr auf den Arm geklopft. Eine Frau in reiferem Alter sah sie mit einem freundlichen Flackern in den Augen an. Das geschäftliche Gespräch über ein gutes, sauberes Mietzimmer hier ganz in der Nähe ging danach ganz schnell.
»Ein halber Taler pro Woche. Nach den ersten beiden Wochen berechne ich dir nur noch acht Stuiver.«
Elsje reagierte nicht gleich. Worauf die Frau zurücktrat, als wolle sie weggehen, und sie folglich instinktiv einen Schritt nach vorn machte.
»Gut, dann komm mal mit. Anschauen kostet schließlich nichts.«
Elsje Christiaens, die in diesem Moment noch eineinhalb Taler und neun Stuiver besaß, ließ sich darauf ein.
18
Unter Kollegen
Er steht noch immer in seinem Atelier. Das ist nichts Ungewöhnliches. Das Gemälde auf der Staffelei hinter ihm beschwört Spannung herauf, Aktion, in nicht geringem Maße, doch vor allem strahlt es etwas Demütiges, um nicht zu sagen Hilfsbedürftiges aus. Hierbleiben, in der Nähe. Selbst wenn du nur aus dem Fenster starrst.
Auf der anderen Seite der Rozengracht herrscht heute mal wieder der übliche Rummel. Gegenüber dem Haus des Malers liegt der Vergnügungspark De Nieuwe Doolhof,
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