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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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denkt er, während
     er doch überhaupt nicht begreifen kann, welches Sakrileg Fulbert eben in den Augen unserer Gefährten begangen hat: die Kuh.
     Er hat sich unterstanden, an die Kuh zu rühren. Nach Gott (und vielleicht sogar vor ihm) unser heiligstes Gut. Eine Kuh ist
     für uns nicht mit ihrem Marktwert identisch. Auf gar keinen Fall. Wenn wir Geld verlangen, falls sie den Besitzer wechselt,
     so nur, um durch bare Münze den gleichsam religiösen Respekt zu bekunden, den wir ihr schulden.
    Meyssonnier empfindet beide Ruchlosigkeiten Fulberts in voller Stärke: seine sozusagen theoretische Ruchlosigkeit, insofern
     er »die Religion, das Opium für das Volk«, repräsentiert, und seine faktische Ruchlosigkeit, insofern er als Person mit schrankenlosem
     Zynismus die unentgeltliche Abtretung einer Kuh gefordert hat. Ich schaue ihn an. Wie wenig hat er sich seit der Gemeindewahl
     verändert! Immer noch das gleiche lange Gesicht mit dem messerscharfen Profil und der schmalen Stirn, der Bürstenschnitt,
     die grauen, eng beisammenstehenden Augen, die zu blinzeln anfangen, sobald er sich aufregt. Und da er seit dem Tage des Ereignisses
     nicht mehr zum Friseur nach La Roque gehen konnte, ist sein Haar kraft der Gewohnheit einfach geradeaus, himmelwärts weitergewachsen,
     und sein langes Gesicht hat sich noch verlängert.
    Die Saaltür geht auf. Es ist Miette. Ich sehe auf die Uhr: 10 Uhr 25. Fünf Minuten. Nicht die erforderliche Zeit, selbst |241| wenn man Fulbert überschätzt (oder unterschätzt). Während sich Miette im Halbdunkel des Saales ohne Aufdringlichkeit an uns
     heranschlängelt, geht eine Woge warmer Empfindung von ihr aus, die uns überflutet und einhüllt. Danke, Miette. An Colins Gesicht,
     an seinem Lächeln merke ich, daß er sehr erleichtert ist. Kann unser großer Bogenschütze heute abend auch nicht Miettes Gegenwart
     genießen, so stibitzt sie ihm wenigstens niemand weg.
    Wir sind vollzählig, und eine Vollversammlung mit den drei Frauen, mit Momo und dem »Leibeigenen« hatten wir bisher noch nie.
     Wir demokratisieren uns. Ich will Thomas darauf hinweisen.
    Die Menou bückt sich, um das Feuer anzufachen, denn die monumentale Öllampe haben wir gleich nach der Mahlzeit aus Sparsamkeit
     gelöscht, und das Kaminfeuer ist seither unsere einzige Beleuchtung. Ohne Schürhaken oder Zange, nur durch geschicktes Zusammenschieben
     der Holzklötze gelingt es der Menou, eine Flamme hervorschießen zu lassen, und Meyssonnier, als hätte er nur auf dieses Signal
     gewartet, platzt los.
    »Als ich diesen Pfaffen kommen sah«, sagt er und vermischt in seiner Wut Französisch und Patois, »hab ich schon geahnt, daß
     er nicht unserer schönen Augen wegen kommt. Aber trotzdem, ich hätte es nicht geglaubt. Das ist ein Ding«, sagt er entrüstet,
     als könnte kein anderer Ausdruck die Ungeheuerlichkeit des Vorkommnisses wiedergeben. »Das ist ein Ding«, sagt er mehrmals
     hintereinander und klopft sich mit der flachen Hand aufs Knie, bevor er, ganz außer sich, weiterredet.
    »Setzt sich der doch, wie Gottvater persönlich, schön ruhig auf seinem Arsch vor dich hin und verlangt deine Kuh von dir,
     als bäte er dich um ein Streichholz, sich die Pfeife anzuzünden! Deine Kuh, die du aufgezogen und jahrelang zweimal am Tage
     versorgt hast, der du im Winter, wenn die Leitung eingefroren war, eimerweise das Wasser aus der Küche in den Stall angeschleppt
     hast, damit sie was zu saufen hat, und die dich den Tierarzt gekostet hat, nicht gerechnet die Medikamente und die Sorge um
     das Stroh und um das Heu, die in deiner Scheune schon abnehmen, daß du dich fragst, ob du durchkommen kannst bis zur neuen
     Ernte. Ich rede gar nicht von der Aufregung, wenn sie kalbt. Und nun?« fährt er mit Nachdruck fort. »Man sagt dir ein paar
     Vaterunser auf und knöpft dir deine |242| Kuh ab! Kehren wir ins Mittelalter zurück? Sind wir soweit? Kommt der Klerus schon, seinen Zehnten einzufordern? Und warum
     nicht auch noch Kopfsteuer und die Fron, wenn wir schon gerade dabei sind?«
    Diese Rede, wenngleich unfromm, machte sogar auf die Frommen Eindruck. Auf dem Dorf erinnert man sich noch der Gutsherren,
     und auch jene, die zur Messe gehen, mißtrauen der Macht des Pfarrers. Dennoch schweige ich. Warte ich ab. Ich möchte nicht
     ein zweites Mal überstimmt werden.
    »Trotzdem«, sagt Colin, »da sind doch die Babys.«
    »Richtig«, sagt Thomas. »Warum gibt man sie nicht nach Malevil? Schwer zu glauben, daß die

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