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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Nacht dein Zimmer überlassen?«
    »Nicht doch«, sagt Fulbert ziemlich lau, »ich möchte niemand stören. Im Stall ein Bündel Heu, das wird mir genügen.«
    Diesen frommen Plan lehne ich höflich ab.
    »Nach deinem langen Weg«, sage ich zu Fulbert und stehe auf, »mußt du dich ausruhen. Und während du schläfst, werden wir über
     deine Bitte verhandeln. Morgen früh geben wir dir unsere Antwort.«
    Auch er erhebt sich, richtet sich in seiner ganzen Größe auf und blickt uns ernst und prüfend an. Ich halte seinem Blick stand,
     dann wende ich mich ohne Hast ab.
    »Miette«, sage ich, »du wirst heute nacht bei Falvine schlafen.«
    Sie nickt. Fulbert hat es aufgegeben, mich mit Blicken festzunageln. Er umfaßt mit väterlichem Auge seine Gläubigen und breitet
     seine Hände aus.
    »Um welche Zeit wünscht ihr, daß ich morgen früh die Messe lese?«
    Fragende Blicke. Die Menou schlägt neun Uhr vor, und alle sind einverstanden außer Thomas und Meyssonnier, die sich der Debatte
     entziehen.
    »Neun Uhr«, sagt Fulbert majestätisch. »Nun gut, sagen wir neun Uhr. Von sieben bis halb neun werde ich mich in meinem Zimmer
     aufhalten (in »meinem« Zimmer!), um denen, die kommunizieren wollen, die Beichte abzunehmen.«
    Geschafft. Er hat uns mit Leib und Seele erobert. Jetzt kann er schlafen gehen.
    |239| »Miette«, sage ich, »führe Fulbert in dein Zimmer. Leg frische Laken für ihn auf.«
    Fulbert bietet uns mit ernster Würde sein »Gute Nacht«, wobei er mit seiner schönen Baritonstimme einen nach dem andern beim
     Namen nennt. Dann geht er hinter Miette, die ihm rasch voranschreitet, zur Saaltür. Einer, den es recht betrübt, sie auf diese
     Weise entschwinden zu sehen, ist der kleine Colin, denn an diesem Abend wäre er an der Reihe gewesen, Miettes Gast zu sein 1 . Mangels Lokalität muß er nun darauf verzichten. Eifersüchtig auch ein wenig auf Fulbert, schaut er hinter ihr her. Und als ich mich gewisser Blicke bei Tisch erinnere, weiß
     ich selbst nicht, ob es von mir richtig war, Miette unserem Gast als Führer mitzugeben. Ich sehe auf meine Uhr: 10 Uhr 20.
     Ich nehme mir vor, wenn Miette zurückkommt, wieder auf die Uhr zu schauen.
    Die Tür ist zu, und in den Gesichtern malt sich Erleichterung. Der Druck, den Fulbert auf uns ausübte, war kaum noch zu ertragen
     gewesen. Jetzt, da Fulbert gegangen ist, fühlen wir uns befreit. Halb befreit, denn seine Forderungen hat Fulbert im Raum
     zurückgelassen.
    In den Gesichtern kann ich nicht nur Erleichterung lesen, sondern auch eine Menge Verwirrung und gemischte Gefühle. Ich bin
     froh, Meyssonnier und Thomas daran gehindert zu haben, bei Tisch einen religiösen Streit anzufangen, denn er hätte Malevil
     unweigerlich in zwei Lager gespalten und die Verwirrung noch vergrößert.
    Ich blicke die Gefährten an, einen nach dem andern. Die Menou, eine Gorgo oder Medusa, sitzt strickend, mit gesenkten Augen
     und geschlossenen Lippen auf der Kaminbank. Der Momo, an nichts mehr interessiert, seit Miette den Raum verlassen hat, stößt
     mit dem Fuß ein halbverbranntes Holzscheit beiseite, und seine Mutter fragt ihn mit leiser und wütender Stimme, doch ohne
     hochzublicken, ob er einen Tritt in den Hintern haben möchte, damit er aufpaßt und sich nicht die Treter verbrennt. Die Falvine
     schnauft und seufzt zwischen ihren Wülsten und Falten hervor. Nein, so was ist noch nicht dagewesen! soll ihr Geraunze besagen.
     Der Gefangene Jacquet, den Colin aus Spaß den »Leib eigenen « |240| nennt und dem es in weniger als einem Monat geglückt ist, mich in die Falle eines quasi väterlichen Verhältnisses zu verstricken,
     indem er mir überallhin folgt und mit seinen gutmütigen goldbraunen Hundeaugen gespannt alle meine Bewegungen beobachtet,
     Jacquet schaut mich an, und was er denkt, ist einfach und beruhigend: Wenn Emmanuel die Kuh hergibt, wird er schon recht haben,
     sie herzugeben. Gibt er sie nicht her, wird er auch nicht unrecht haben. Peyssous ungeschlachtes Vollmondgesicht ist so von
     Unsicherheit zerquält, daß es einen jammert. Ich weiß, er versucht seine aufkommende Verehrung für Fulbert mit dessen unverschämten
     Forderungen in Übereinstimmung zu bringen. Colin, wenn er es auch weniger merken läßt, ist nicht minder in Verwirrung. Aufgeregt
     und aus den bereits erwähnten Gründen frustriert, sieht er unablässig zur Tür.
    In den Augen von Thomas hingegen nicht die geringste Ungewißheit: Fulbert, ein ruchloses Subjekt. Und das

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