Malevil
Mütter nicht einwilligen würden,
sich von ihnen zu trennen, damit sie mit dem Leben davonkommen.«
Nicht schlecht, Thomas. Nüchtern und logisch, vielleicht ein wenig zu abstrakt, um zu überzeugen.
»Fulbert hat es aber gesagt«, bemerkt Peyssou in seiner außergewöhnlichen Gutgläubigkeit.
Meyssonnier zuckt die Schultern.
»Fulbert«, sagt er heftig, »hat erzählt, was er wollte!«
Damit, scheint mir, geht er für sein Publikum zu weit. Denn damit heißt er Fulbert mit versteckten Worten einen Lügner, und
noch ist hier, außer Thomas und mir, niemand geneigt, sich ein solches Urteil zu eigen zu machen. Ein langes Schweigen ist
die Folge. Und ich unternehme nichts, es zu brechen.
»Man muß schon einsehen, daß es schlecht um sie steht«, sagt schließlich die Menou, legt ihr Strickzeug auf die Knie und glättet
es mit der flachen Hand, weil es sich aufzurollen droht. »Die in La Roque sind zwanzig und haben ihrer zwanzig nur einen Stier
und fünf Pferde, die ihnen zu nichts gut sind.«
»Keiner hindert dich, ihnen deine Kuh zu geben«, sagt Meyssonnier spöttisch.
Das gefällt mir nicht. Vorsicht. Die Begriffe mein und dein erscheinen mir recht gefährlich. Ich mische mich ein.
»Mit dieser Ausdrucksweise bin ich nicht einverstanden. Es gibt hier weder eine Kuh der Menou noch eine Kuh vom Etang noch
die Pferde Emmanuels. Es gibt nur das Vieh von Malevil, sonst nichts. Und das Vieh von Malevil gehört Malevil, das heißt uns
allen. Wenn jemand anders denkt, braucht er sein Tier oder seine Tiere nur zu nehmen und zu gehen.«
|243| Ich habe mit großem Nachdruck gesprochen, und meiner Erklärung folgt ein etwas betretenes Schweigen.
»Was soll das heißen, Emmanuel?« fragt der kleine Colin nach einer Weile.
»Das soll heißen, daß wir alle darüber entscheiden müssen, ob wir uns von einem Tier trennen wollen.«
Ich sage »uns trennen«, nicht »hergeben«. Die Feinheit entgeht niemandem.
»Man muß sich an ihre Stelle versetzen«, sagt die Falvine, und wir alle schauen sie erstaunt an, denn seit sie hier ist, hat
die Menou so kräftig auf ihr herumgehackt, daß sie sich scheut, den Mund aufzumachen. Ermutigt durch unsere Aufmerksamkeit,
fährt sie fort: »Wenn es in Malevil drei Kühe für zehn Menschen gibt und in La Roque für zwanzig nicht eine, muß das ja eines
Tages mit Sicherheit Neid erwecken.«
»Du sagst nichts anderes, als was ich schon gesagt habe«, zischt die Menou, um Falvine zu verletzen.
Ich habe genug von diesem Schreckensregiment und weise die Menou in ihre Schranken.
»Gut gesagt, Falvine!«
Die Hängebacken treten zurück, alles in ihr weitet sich, sie blickt in die Runde und lächelt vor Behagen.
»Ein Pferd hat man uns schon gestohlen«, sagt der Peyssou. »Ohne jemand beleidigen zu wollen«, setzt er hinzu, als er sieht,
wie sich der arme Jacquet auf seinem Stuhl zusammenkrümmt. »Warum sollte man uns nicht auch eine Kuh von der Weide stehlen?«
»Eine?« sage ich. »Vielleicht alle drei! Die in La Roque haben fünf Pferde, und fünf berittene Männer würden ausreichen. Sie
kommen her, schlagen unsere Wachen nieder, und weg sind die Kühe!«
Ich habe aus gutem Grund die Pferde ins Gespräch gebracht.
»Wir sind bewaffnet«, sagt Colin.
Ich sehe ihn an.
»Sie auch. Und zwar besser als wir. Wir haben vier Flinten. In La Roque haben sie zehn. Und ich zitiere Fulbert: Patronen
in Menge. Wir nicht.«
Schweigen. Mit Beklemmung denken wir daran, was ein Krieg zwischen La Roque und uns bedeuten würde.
»Von den Leuten in La Roque kann ich das nicht glauben«, |244| sagt die Menou kopfschüttelnd. »Das sind Menschen unseres Schlages. Die sind redlich.«
Ich zeige auf die drei Neuen.
»Redlich? Sind die nicht auch redlich? Und doch hast du gesehen.« Auf patois füge ich hinzu: »Ein fauler Apfel reicht, dir
einen ganzen Korb zu verderben.«
»Das stimmt«, sagt die Falvine, um so mehr beglückt, mir mein Kompliment zu erwidern, als sie damit gleichzeitig die Menou
ohne Risiko ins Unrecht setzen kann. Aber auch die Menou schließt sich meiner Ansicht an, ebenso Colin und Peyssou.
»Du hast ja recht, Emmanuel«, sagt Meyssonnier, hebt den Blick zum Himmel auf und zeigt mit dem Finger in Richtung Bergfried,
damit keiner ihn mißverstehe. Auf patois wiederholt er. »Ein fauler Apfel reicht, dir einen ganzen Korb zu verderben.«
Thomas beugt sich zu Meyssonnier, läßt sich das Sprichwort ins Französische übersetzen und nickt.
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