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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Schlankheitskult Einfluß auf sie gehabt haben. Nase und Kinn sind wie bei ihrer Schwester ein wenig stark, sie hat
     schöne schwarze, aber stark verschminkte Augen, einen von Rouge blutroten Mund und weniger volles, aber besser gepflegtes
     Haar. Sie trägt sehr enge Bluejeans, dazu eine bunt gemusterte Hemdbluse, einen breiten Gürtel mit Goldschnalle und an Ohren,
     Hals, Handgelenken und Fingern eine große Menge Modeschmuck. So ausstaffiert und geschmückt, scheint sie einer Seite von »Mademoiselle
     Age Tendre« entsprungen zu sein, und ihre in den Hüften lockere, unbekümmert nachlässige Haltung, in der sie sich mit einem
     Arm an der Wand abstützt und das Becken herausdrückt, scheint mir den Mannequins im Katalog der Redoute abgeschaut zu sein.
    Caties Blick ist nicht so sanft wie der von Miette, aber sexuell äußerst aggressiv und wohl sehr wirkungsvoll, zumindest hat
     sie Thomas, der hingerissen vor ihr steht, in wenigen Minuten eingefangen und gefesselt. Catie hatte wohl im Nu ihre Wahl
     getroffen, als wir von unserem Fuhrwerk stiegen, und |299| sich auf ihr Gegenüber mit einer Geschwindigkeit und Kraft eingestellt, die dem Betroffenen keinerlei Hoffnung mehr zu lassen
     scheint.
    »Emmanuel«, sagt Marcel zu mir, »du kennst meine kleine Nichte noch nicht.«
    Ich drücke der kleinen Nichte die Hand, sage ihr ein paar Worte, sie antwortet mir und umfaßt mich, am Rande dieses gesellschaftlichen
     Zeremoniells, mit einem raschen Kennerblick. Schon bin ich beurteilt, abgeschätzt und gewogen, nicht, was mein sittliches
     Wesen, und noch weniger, was meinen Intellekt betrifft, sondern als eventueller Partner bei der einzigen Aktivität, die ihr
     im Leben wichtig erscheint. Und ich bekomme eine gute Note, glaube ich. Dann wendet die Catie das volle Feuer ihrer Augen
     wieder Thomas zu. Was mich dabei überrascht, ist die ungewöhnliche Schnelligkeit, ja fast Brutalität, mit der der Prozeß der
     Aneignung von Thomas in Gang gekommen ist. Nichts ist freilich normal in dem Leben, das wir seit dem Tag des Ereignisses führen.
     Ein Beweis dafür ist die Art und Weise, wie sich eben das Problem der Verteilung in La Roque gestellt hat. Ein Beweis dafür
     ist auch die Tatsache, daß keiner von uns die Flinte abgelegt hat, die er um den Hals trägt, nicht einmal Colin, dem sie beim
     Beladen des Karrens doch sehr hinderlich sein muß.
    »Und du?« frage ich das kleine Mädchen, das, von Catie an der Hand gehalten, aber von dem Kreuzfeuer der Blicke über seinem
     Kopf vernachlässigt, sich seit einer Weile damit unterhält, allen meinen Bewegungen zu folgen. »Wie heißt du?«
    »Evelyne«, sagt sie und heftet mit ernsthaftem Ausdruck blaue, von tiefen Ringen eingefaßte Augen auf mich, die über die Hälfte
     ihres mageren Gesichts einnehmen, das von langem, bis zu den Ellbogen herabhängendem, glattem blondem Haar eingerahmt ist.
     Ich fasse sie mit den Händen unter den Achseln und hebe sie zu meinem Gesicht hoch, um ihr einen Kuß zu geben; aber sie legt
     mir gleich ihre Beine beiderseits um die Hüften und ihre mageren Arme um den Hals. Mit beglücktem Ausdruck gibt sie mir meine
     Küsse zurück und klammert sich dabei mit Händen und Füßen so kraftvoll an mich, daß es mich überrascht.
    »Hör mal«, sagt Marcel und wendet sich an mich, »wenn du einen Moment Zeit übrig hast, würde ich dich gern in meiner |300| Werkstatt sehen, bevor die andern Lumpen wieder auftauchen.«
    »Aber gern«, sage ich. »Und ihr beide«, wende ich mich an Catie und Thomas, »geht nun Colin beim Beladen seines Wagens helfen.
     Steig ab, Evelyne, laß mich los«, rede ich weiter und bemühe mich, aus der Umklammerung ihrer mageren Ärmchen freizukommen,
     während Catie Thomas an der Hand nimmt und ihn auf die Straße zieht.
    »Nein, nein«, sagt Evelyne und schmiegt sich an mich. »Trag mich doch so zu Marcel.«
    »Wirst du dann auch absteigen, wenn ich dich trage?«
    »Abgemacht.«
    »Wenn du dieser kleinen Göre nachgibst, wirst du kein Ende finden«, sagt Marcel. »Seit der Bombe lebt sie bei mir. Catie kümmert
     sich um sie. Und glaub mir, manchmal ist es recht beschwerlich, da sie Asthma hat. Die Nächte, die wir verbringen, das ist
     schon was.«
    Das also ist das Waisenkind, von dem Fulbert gesprochen hat und »um das sich niemand in La Roque kümmern möchte«. Was ist
     er doch für ein widerlicher Mensch! Lügt, sobald er Atem holt, selbst wenn es nicht nötig ist.
    Marcel führt mich nicht in seine

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