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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Werkstatt, wo wir gesehen werden könnten, sondern in einen winzigen Eßraum mit Fenstern auf
     einen kaum größeren Hof. Ich bemerke gleich seine Fliederbüsche. Durch vier Mauern geschützt, sind sie angesengt worden, aber
     nicht verbrannt.
    »Hast du gesehen«, sagt Marcel mit einem Aufleuchten von Freude in seinen schwarzen Augen, »ich habe Knospen! Mein Flieder
     ist nicht hin, er wird sich wieder erholen. Setz dich doch, Emmanuel.«
    Ich setze mich, und gleich zwängt sich Evelyne zwischen meine Beine, legt sich, mir den Rücken kehrend, meine Arme um den
     Leib und bleibt so ruhig stehen.
    Über der Nußbaumkommode sehe ich die Regale, in die Marcel seine Bücher stellt. Taschenbücher und solche vom Buchklub. Weil
     man Taschenbücher überall kaufen kann und für die Buchklubausgaben keine Buchhandlung aufsuchen muß, um sie zu bekommen. Die
     erste Überraschung hatte Marcel mir bereitet, als ich zwölf Jahre alt war. Er wollte dem Onkel ein Buch zeigen, aber bevor
     er es anfaßte, seifte er sich unter |301| dem Wasserhahn in der Küche umständlich die Hände ab. Hinterher waren sie nicht weißer als vorher. Breite, wie Leder gegerbte,
     schwarz verkrustete Hände.
    »Nichts da, was ich dir anbieten könnte, mein armer Emmanuel«, sagt er und setzt sich mir gegenüber. Er schüttelt traurig
     den Kopf. »Hast du’s gesehen?«
    »Ich hab’s gesehen.«
    »Paß auf, man muß gerecht sein. Fulbert ist ja anfänglich von Nutzen gewesen. Er hat uns veranlaßt, die Toten zu begraben.
     In gewissem Sinne hat er uns sogar wieder Mut gemacht. Erst nach und nach hat er, zusammen mit Armand, begonnen, die Schraube
     anzuziehen.«
    »Und ihr habt nicht reagiert?«
    »Als wir reagieren wollten, war es zu spät. Mehr noch, schon am Anfang waren wir nicht mißtrauisch genug. Fulbert hat eine
     Zunge von Gold. Er erklärte uns, da die Besitzer des Kolonialwarenladens tot sind, müßten wir alle Vorräte ins Schloß transportieren,
     um Plünderungen vorzubeugen. Das erschien vernünftig, und wir haben es getan. Die gleiche Begründung für die Metzgerei. Später
     erklärte er uns, die Gewehre dürften wir nicht behalten. Die Leute würden sich sonst untereinander umbringen. Auch die Flinten
     sollten wir im Schloß lagern. Na gut, welchen Sinn hätte es gehabt, die Flinten zu behalten, da es doch kein Wildbret mehr
     gab? Aber eines schönen Tages, weißt du, sind wir gewahr geworden, daß das Schloß nun alles hatte: die Futtermittel, das Korn,
     die Pferde, die Schweine, das Schlachtgut, die Kolonialwaren und die Gewehre. Ich rede nicht mal von der Kuh, die du uns mitgebracht
     hast. Und so ist es nun. Das Schloß teilt den Leuten täglich ihre Rationen zu. Und die Rationen fallen für den einen anders
     aus als für den andern, verstehst du mich? Und auch von einem Tag zum andern, je nach Gunst des Schloßherrn. Auf diese Weise
     hat uns Fulbert in der Hand. Durch die Rationen.«
    »Und was hat Armand dabei zu tun?«
    »Armand? Er ist der weltliche Arm. Der Terror. Fabrelâtre ist der Geheimdienst. Aber Fabrelâtre, weißt du, ist eher ein Blödian
     als etwas anderes, davon konntest du dich ja schon überzeugen.«
    »Und Josepha?«
    »Josepha ist die Haushälterin. In den Fünfzigern. Oh, nicht |302| besonders schön anzusehen. Aber trotzdem besorgt sie nicht nur den Haushalt, wenn du verstehst. Sie lebt mit Fulbert, Armand
     und Gazel im Schloß. Gazel ist der Vikar, den Fulbert für dich bestimmt hat.«
    »Und welcher Art ist dieser Gazel?«
    »Ein Weib ist er!« sagt Marcel und beginnt zu lachen. Und es tut mir wohl, ihn lachen zu sehen, denn in seiner Werkstatt habe
     ich ihn immer lustig erlebt: Die schwarzen Augen funkeln, die Warze bebt, und seine herkulischen Schultern werden von einem
     Lachen geschüttelt, das er zurückhalten muß wegen all der Nägel, die er im Munde hat und einzeln herausnimmt, um sie in die
     Sohlen zu klopfen, ganz gerade und genau senkrecht, ohne jemals einen zu verfehlen, und mit welcher Geschwindigkeit!
    »Gazel«, fährt er fort, »ist ein Witwer in den Fünfzigern. Aber möchtest du was zum Lachen haben, dann sieh ihn dir vormittags
     um zehn bei sich zu Hause an, wenn er saubermacht, das Haar in einem Turban, damit es keinen Staub abkriegt. Da wird dir geschrubbt
     und geputzt und gewichst, und das Ganze für nichts und wieder nichts, weil er ja im Schloß wohnt! Und recht zufrieden ist!
     Auf die Art macht er doch keinen Dreck bei sich zu Hause!«
    »Und im

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