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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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großen Löffel treiben sich immerhin
     in weniger als fünf Meter Entfernung umher, aber unsere Wikingerin würdigt sie nicht eines einzigen Blickes.
    »Sie müssen wissen«, redet sie laut und artikuliert weiter, |313| »ich bin katholisch. (Dritter Druck auf meinen Arm.) Aber einem Kirchenmann von solchem Schlag bin ich nicht oft begegnet.
     Und was soll man von der Passivität unserer Mitbürger halten? Alles lassen sie sich gefallen! Man könnte meinen, man hätte
     ihnen die männlichen Merkmale weggenommen.«
    Sie hingegen muß von diesen Merkmalen, trotz ihres Geschlechts, ihr Teil abbekommen haben. Denn sie, in ihren Hosen, mit ihren
     Kinnladen, die breit über den Rollkragen ihres Pullis hervortreten, steht fest und sicher mit funkensprühenden Blauaugen vor
     mir. Und fordert, mitten auf der Hauptstraße von La Roque, mit lauter Stimme die Macht heraus.
    »Außer einem«, sagt sie, »Marcel. Der, ja der ist ein Mann!«
    Ob sie Marcel auch den Bizeps befühlt? Sie könnte. Sie hätte was davon. Mit über sechzig Jahren strotzt Marcel von Muskeln,
     und es gibt Frauen – nicht allein nur ledige –, die sich noch gern an ihnen reiben.
    »Monsieur Comte«, fährt sie mit der Stimme eines Volkstribunen fort, »ich sage Ihnen bravo! Bravo für die sofortige Zuteilung
     der Lebensmittel (Druck auf meinen Arm), die einzige Möglichkeit, daß wir unsern Anteil davon auch bekommen. Und bravo auch
     dafür, daß Sie der örtlichen SS entgegengetreten sind (neues Drücken). Ich war noch nicht aufgestanden, ich hätte Sie sonst
     unterstützt.«
    Plötzlich beugt sie sich zu mir und flüstert mir ins Ohr: »Wenn Sie gegen diesen traurigen Wichtigtuer eines Tages etwas unternehmen,
     Monsieur Comte, ich werde Ihnen helfen.«
    »Ich werde Ihnen helfen« hat sie leise, aber mit großer Energie gesagt. Als sie sich wieder aufrichtet und bemerkt, daß Fabrelâtre
     direkt hinter ihr steht, läßt sie meinen Arm los, wendet sich mit einem plötzlichen Ruck um und versetzt ihm mit der Schulter
     einen solchen Stoß, daß die lange Latte ins Taumeln gerät.
    »Luft! Luft!« ruft Judith mit kräftiger Stimme und holt zu einer weiten Bewegung der Arme aus. »Zum Teufel! Es gibt doch Platz
     genug in La Roque!«
    »Pardon, Madame«, sagt Fabrelâtre schwächlich.
    Sie blickt ihn nicht einmal an. Sie reicht mir ihre breite Hand, ich drücke sie und entferne mich mit schmerzendem Bizeps.
     Ich bin zufrieden, diese Verbündete entdeckt zu haben.
    |314| Ich gehe bis zum Wagen hinunter. Das Aufladen ist sehr rasch gegangen und nähert sich dem Ende. Krah, der die Brotkrumen sogar
     unter Lanouailles Füßen aufgepickt hat, spaziert mit gelehrter Miene auf Malabars breitem Rücken. Als ich mich nähere, läßt
     er ein freundliches Krächzen hören, setzt sich auf meine Schulter und fängt an, mich zu necken.
    Thomas, der mit besorgtem Blick an der Schusterwerkstatt hängt, zieht mich beiseite.
    »Was geht hier vor?« fragt er mich. »Warum hat Catie uns (!) allein gelassen?«
    »Evelyne hat einen Asthmaanfall, und Catie bleibt bei ihr.«
    »Muß das sein?«
    »Natürlich muß das sein!« sage ich schockiert. »Ein Asthmaanfall ist sehr schmerzhaft! Man hat Beistand nötig.«
    Er senkt beschämt den Blick. Plötzlich fragt er mit klangloser Stimme: »Sag mal, hättest du etwas dagegen, wenn Catie nach
     Malevil käme, um bei ihrer Schwester und ihrer Oma (!) zu leben?«
    »Ich hätte sehr viel dagegen«, sage ich tiefernst.
    »Wieso?«
    »Fulbert hat jede Auswanderung aus La Roque verboten und würde sich ihrem Weggang bestimmt widersetzen. Wir müßten sie entführen.«
    »Na und?« sagt er mit vibrierender Stimme.
    »Wieso na und? Möchtest du wegen eines Mädchens den Bruch mit Fulbert riskieren?«
    »Vielleicht würde es so weit nicht kommen.«
    »O doch! Fulbert, stell dir vor, ist scharf auf die Kleine. Er hat sie aufgefordert, im Schloß in seinen Dienst zu treten.«
    Thomas wird blaß.
    »Ein Grund mehr, sie diesem Individuum wegzunehmen.«
    »Aber hör mal, Thomas, du bist großartig, du hast Catie gar nicht um ihre Meinung gefragt. Dieser Fulbert gefällt ihr vielleicht.«
    »Ganz sicher nicht.«
    »Zudem kennen wir Catie im Grunde überhaupt nicht. Vor einer Stunde sind wir ihr das erstemal begegnet.«
    »Sie ist sehr in Ordnung.«
    »Du willst sagen: in moralischer Hinsicht?«
    »Ja, natürlich.«
    |315| »Ach, wenn das deine Meinung ist, ändert das alles. Zu deiner Objektivität habe ich volles Vertrauen.«
    Ich betone

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