Malevil
nicht gerade zu begeistern, Catie. Du kannst ablehnen, wenn du möchtest. Ich zwinge niemand.«
»Aber nein, aber nein«, sagt Catie. »Es fällt mir nur schwer, den Onkel allein zu lassen.«
»Nanu, nanu«, sagt Marcel.
|311| »Wenn es dir so schwerfällt«, sage ich, »dann bleibst du vielleicht besser hier. Reden wir nicht mehr davon.«
In diesem Moment begreift sie, daß ich mich über sie lustig mache. Sie beginnt zu lächeln, und mit einer bäurischen Frechheit,
die mir weit besser gefällt als der bescheidene Anstrich, den sie sich bis dahin gegeben hat, sagt sie zu mir: »Du wirst lachen,
ja! Ich wäre sehr zufrieden, mit euch zu gehen!«
Ich fange tatsächlich zu lachen an und Marcel auch. Er muß die kleinen Dialoge und die langen Blicke vor dem Fleischerladen
bemerkt haben.
»Du kommst also?« frage ich. »Tut’s dir nicht zu leid?«
»Und es fällt dir nicht allzu schwer, deinen Onkel zu verlassen?« fragt Marcel.
Nun lacht sie ihrerseits, aufrichtig und hingebungsvoll. Und ihr Lachen breitet sich über ihren Körper aus und bringt ihre
Schultern, ihre Brust, ihre Hüften in wogende Bewegung. Dieser Anblick gefällt mir, und mein Auge bleibt an ihr hängen. Sie
bekommt es natürlich sofort mit und gibt sich, während sie mir kokette Blicke zuwirft, ihrem Geschlängel um so eifriger hin.
»Hör gut zu, Catie«, fahre ich fort. »Du kannst dir wohl denken, wenn wir Fulbert um Erlaubnis bitten wollten, würden wir
sie nicht bekommen. Ihr müßt euch also heimlich davonmachen, du und Evelyne. In wenigen Minuten werden sich die Leute aus
dem Ort vermutlich auf die Esplanade begeben, um sich eine Vorführung anzusehen, die ich mit den Pferden geben will. Du wirst
nicht mit ihnen gehen. Du wirst in deinem Zimmer bleiben, angeblich um für Evelyne zu sorgen, die einen Asthmaanfall haben
wird. Sobald alle Menschen im Schloß sind, packst du deinen und Evelynes Koffer, trägst sie zum Wagen und versteckst sie sorgfältig
unter den leeren Säcken, die wir benutzt haben, um die Brote einzuwickeln. Dann geht ihr zu Fuß durch das Südtor hinaus, schlagt
die Straße nach Malejac ein und erwartet uns nach fünf Kilometern an der Kreuzung der Rigoudie.«
»Kenne ich«, sagt Catie.
»Laßt euch nicht blicken, bevor ihr uns erkannt habt. Und du, Evelyne, wirst Catie in allem gehorchen.«
Evelyne nickt zustimmend, ohne etwas zu sagen, und schaut mich mit stummer Inbrunst an. Es tritt Schweigen ein.
»Ich danke dir, Emmanuel«, sagt Catie gerührt. »Darf ich es Thomas sagen?«
|312| »Du sagst ihm gar nichts. Du hast keine Zeit. Du verziehst dich mit Evelyne schnell in dein Zimmer.«
Und in der Tat verzieht sie sich schnell, nicht ohne sich umzudrehn und sich zu vergewissern, ob ich ihrem Abgang mit dem
Blick folge.
»Nun, Marcel, ich gehe, ich möchte nicht, daß Fulbert mich bei dir sieht. Es würde dich kompromittieren.«
Er umarmt mich. Kaum im Hausflur, kehre ich um, ziehe ein Paket aus meiner Tasche und lege es auf den Tisch. »Eine kleine
Entschädigung, wenn Fulbert die Rationen kürzt, sobald er Caties Flucht bemerkt hat.«
Auf der Straße werde ich von einer hochgewachsenen, massiven Dame in blauem Pullover und weiten Hosen angeredet. Sie hat dichtes,
kurzes, angegrautes Haar, kräftige Kinnladen und blaue Augen.
»Monsieur Comte«, sagt sie mit tiefer Stimme und wohlartikuliert, »gestatten Sie, daß ich mich vorstelle: Judith Médard, Mathematiklehrerin,
ledig. Ich sage ledig, um Irrtümern vorzubeugen, nicht: altes Mädchen.«
Diesen Anfang finde ich drollig, und da sie keine Spur von dem hiesigen Akzent hat, frage ich sie, ob sie denn aus La Roque
sei.
»Aus der Normandie«, sagt sie, bemächtigt sich meines rechten Arms und schließt ihre kräftige Hand um ihn. »Und ich wohne
in Paris. Oder ich habe vielmehr in Paris gewohnt in der Zeit, als es Paris noch gab. Ich habe auch in La Roque ein Haus,
und das hat mir ermöglicht, am Leben zu bleiben.«
Erneuter Druck auf meinen Bizeps. Ich mache eine unauffällige Bewegung, um ihn aus der Umklammerung dieser Wikingerin zu lösen,
sie aber schließt – ich könnte schwören, ohne es auch nur gewahr zu werden – ihre Fingerglieder nur noch fester um meinen
Muskel.
»Ermöglicht, am Leben zu bleiben«, fährt sie fort, »und Bekanntschaft mit einer recht kuriosen theokratischen Diktatur zu
machen.«
Da ist wenigstens mal eine, die sich von Fabrelâtres Ohren nicht einschüchtern läßt. Diese
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