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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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das Wort »Objektivität«. Verlorene Mühe. Thomas ist schon in normalen Zeiten unzugänglich für Humor. Um so mehr
     jetzt.
    »Dann also ja?« fragt er ängstlich. »Nehmen wir sie mit?« Ich blicke ihn sehr ernst an.
    »Du wirst mir etwas versprechen, Thomas: in dieser Angelegenheit keinerlei Initiative zu ergreifen.«
    Er zögert, aber mein Tonfall und mein Blick müssen ihn zum Nachdenken veranlassen, denn er sagt: »Ich versprech es dir.«
    Ich kehre ihm den Rücken, lasse Krah, der mir auf der Schulter zu schwer wird, davonfliegen und gehe wieder die Hauptstraße
     hinauf. Das große dunkelgrüne Portal an ihrem oberen Ende hat sich aufgetan, und mit einem Schlag verstummen die Gespräche.
    Als erster tritt Armand über die Schwelle, seine Flappe ist finster und verschlossen. Dann kommt ein seltener Vogel, den ich
     nicht kenne, der aber nach Marcels Beschreibung Gazel sein muß. Und schließlich erscheint Fulbert.
    Er ist ein guter Komödiant. Er begnügt sich nicht damit, zu erscheinen. Er hat seinen Auftritt. Während er es Gazel überläßt,
     das Tor hinter ihm zu schließen, bleibt er stehen und läßt seinen Blick väterlich über die Menge schweifen. Er ist mit seinem
     anthrazitgrauen Anzug, dem Hemd, das ich ihm »ab getreten « habe, und seiner grauen Strickkrawatte bekleidet und trägt um den Hals sein Brustkreuz, dessen Ende er zwischen Daumen und
     Zeigefinger der linken Hand hält, als wollte er Inspiration aus ihm schöpfen. Der Sonnenschein läßt die Sturmhaube seines
     schwarzen Haars aufleuchten und höhlt seine von den schönen Schielaugen belebte Asketenmaske aus. Während er die Augen auf
     die Leute von La Roque richtet, zeigt er eine sanfte Duldermiene, bereit zum Martyrium.
    Sobald er sieht, daß ich mich durch die kleine Ansammlung dränge, gibt er seine Reglosigkeit auf und geht mit ausgebreiteten
     Armen auf mich zu, um mir mit erfreutem Ausdruck brüderlich die Hände entgegenzustrecken.
    »Willkommen in La Roque, Emmanuel«, sagt er mit seiner schönen tiefen Stimme, nimmt meine rechte Hand in seine Rechte und
     legt, als wollte er einen Schatz in Gewahrsam nehmen, |316| noch obendrein seine Linke darauf. »Welche Freude, dich wiederzusehen! Natürlich gibt es kein Problem«, fährt er fort und
     läßt mit Bedauern meine Fingerglieder fahren. »Da Colin nicht aus La Roque ist, versteht es sich von selbst, daß die Dekrete
     von La Roque auf ihn nicht zutreffen. Also darf er sein Materiallager räumen.«
    Das wurde sehr rasch und so beiläufig erklärt, als hätte sich die Frage niemals gestellt.
    »Das wäre also die Kuh«, knüpft er gleich in bewunderndem Ton an, während er sich nach ihr umdreht und die Arme hebt, als
     wollte er sie segnen. »Ist es nicht ein Wunder, daß der liebe Gott ein Tier erschaffen hat, das aus nichts als Heu und Gras
     Milch zu machen weiß? Wie heißt sie?«
    »Noiraude.«
    »Die Schwarzbraune wird uns dennoch weiße Milch geben«, fährt er mit einem leisen Pfaffenlachen fort, das allein bei Fabrelâtre
     und Gazel ein Echo findet. »Aber da sehe ich ja auch deine Freunde, Emmanuel. Guten Tag, Colin. Guten Tag, Thomas. Guten Tag,
     Jacquet«, sagt er gütig, doch ohne ihnen die Hand zu drücken, womit er zeigt, daß er auf einigen Abstand zwischen dem Meister
     und seinen Gesellen hält. Bei Miette und Falvine läßt er es mit einem Kopfnicken bewenden. »Ich weiß auch, daß du uns schöne
     Geschenke gemacht hast, Emmanuel«, sagt er und richtet seine schwarzen, von Güte feuchten Augen auf mich. »Brot! Fleisch!
     Butter!«
    Bei jedem Ausruf hebt er seine beiden Arme in die Höhe.
    »Die zwei Brote und die Butter sind Geschenke«, sage ich klar und deutlich. »Nicht aber das Fleisch. Schau es dir an, Fulbert.«
     Ich gehe ihm zum Fleischerladen voran. »Wie du feststellen kannst, ist es nicht wenig. Ein halbes Kalb. Ich habe Lanouaille
     geraten, mit dem Aufschneiden nicht zu warten, denn der Tag verspricht heiß zu werden, und es gibt keine Kühlanlagen mehr.
     Wegen des Brots und der Butter«, fahre ich fort, »sei nochmals gesagt, das sind Geschenke. Was aber das Kalb anbelangt, so
     erwartet Malevil von La Roque eine Gegenleistung in Zucker und Seife.«
    Es sind wenigstens drei Dinge, die Fulbert an dieser Rede mißfallen: daß ich ihn innerhalb seines Herrschaftsbereiches Fulbert
     nenne. Daß das Aufschneiden des Kalbes schon nicht mehr rückgängig zu machen ist. Und daß ich Kolonialwaren |317| von ihm verlange. Aber er läßt von

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