Malevil
vorzuschlagen.«
»Und dich nach Malevil zu entsenden?«
»Nur sofern Sie mich haben wollen«, sagt Gazel mit einer Demut, die merkwürdigerweise keineswegs falsch klingt.
|319| »Wir haben nichts gegen dich, Gazel. Anderseits nehme ich an, es wird dir schwerfallen, das Schloß von La Roque und dein Häuschen
im Ort aufzugeben.«
»Ja«, sagt Gazel mit einer Offenheit, die mich verwundert. »Besonders mein Haus.«
»Nun gut«, sage ich, »du wirst es nicht tun müssen. Ich bin am Sonntagabend von den Gläubigen mit Einstimmigkeit zum Geistlichen
von Malevil gewählt worden.«
Ich höre ein leises Lachen hinter mir und vermute, es ist Colin, aber ich drehe mich nicht um. Gazel hingegen bleibt stehen
und schaut mich mit seinen hervorstehenden Augen an. Sie haben einen Ausdruck unaufhörlichen Erstaunens, den sie ebendiesem
Hervorstehen und der übergroßen Distanz zwischen Brauenbogen und Lid verdanken. Und diese Eigentümlichkeit verleiht Gazel
ein albernes Aussehen, das täuscht, denn dumm ist er nicht. Auch eine einseitige Schwellung an seinem langen Hals fällt mir
auf. Es ist, glaube ich, der Ansatz zu einem Kropf, und ich bin überrascht, denn bei uns werden vor allem alte Frauen von
diesem Leiden befallen. Bei dem armen Burschen aber funktioniert wohl ohnehin keine seiner Drüsen ganz normal.
»Haben Sie es dem Herrn Pfarrer gesagt?« fragt Gazel mit seiner dünnen Stimme.
»Ich hatte noch keine Gelegenheit.«
»Denn der Herr Pfarrer wird sehr betrübt sein«, sagt Gazel. Was er selbst offenbar nicht ist. Die Aussicht, La Roque verlassen
zu sollen und nicht mehr jeden Morgen ein bereits sauberes Haus saubermachen zu dürfen, muß ihm fürchterlich erschienen sein.
Eigentlich nicht unsympathisch, dieser Gazel. Ein sanfter Verrückter, der seinen Pfarrer anbetet, der davon träumt, mit seinen
schönen Locken, seinem makellos weißen Kittel und seiner säuberlich gereinigten Seele unberührt ins Paradies zu kommen und
sich gleich der Jungfrau Maria in den Schoß zu werfen. Harmlos. Nein, vielleicht auch nicht. Nicht völlig harmlos, da er sich
doch einem Meister wie Fulbert gefügt hat und vor der Ungerechtigkeit die Augen verschließt.
Gazel schließt die mit zwei Umdrehungen versperrte Kellertür auf. Hier also stapelt Fulbert die Schätze, die er La Roque durch
Überredungskunst entrissen hat. Der Keller hat zwei Abteilungen. Wo wir uns befinden, sind die nicht eßbaren Güter. |320| In einem zweiten Keller, vom ersten durch eine Tür mit einem riesigen Vorhängeschloß getrennt, die Kolonialwaren, das Schlachtgut,
der Wein. Diesen zweiten erlaubt mir Gazel nicht zu betreten. Mit zwei raschen Blicken nur, wenn er hineingeht und wenn er
wieder herauskommt, kann ich etwas davon sehen.
Im ersten Keller sind in einem Gewehrständer die Flinten aufgereiht, und auf einem Regal entlang dem Ständer liegt, mit größter
Sorgfalt geordnet, die Munition.
»Hier«, sagt Gazel mit seiner klanglosen Stimme. »Du hast die Wahl.«
Von dieser Großzügigkeit bin ich überrascht. Bald begreife ich, daß sie auf Fulberts wie auch Gazels Unwissenheit zurückzuführen
ist, lasse aber von meiner Verwunderung nichts erkennen und werfe Colin, damit er keine Bemerkung mache, einen Blick zu. Ich
zähle elf Flinten, und unter diesen elf zum Großteil bäuerlichen Jagdflinten sehe ich, glänzend wie ein Vollblut inmitten
bescheidener Mähren, eine erlesene Springfield, die Lormiaux gekauft haben muß, um an einer Luxus-Safari teilzunehmen. Eine
kostspielige Waffe, mit der es möglich ist, auf hundertfünfzig Meter einen Büffel zu erlegen (mit zwei oder drei guten Schützen
im Versteck, um bei Ungeschicklichkeit des Gastes Abhilfe zu schaffen). Ich nehme sie nicht sofort, vorerst sehe ich die Munition
durch. Das passende Kaliber ist in ausreichender Menge vorhanden. Die zwei übrigen Flinten sind rasch gewählt. Eine 2,2-Langrohrbüchse
mit Zielfernrohr, die wohl dem Sohn Lormiaux’ gehört hat, und an dritter Stelle die beste von den doppelläufigen Jagdflinten.
Auch für diese ist reichlich Munition da. Sie findet unten in dem Sack Platz, in den ich die drei Gewehre stecke. Gazel greift
sich dann den zweiten Sack, und mit der Bitte, zu bleiben, wo wir sind – das sei die Regel, entschuldigt er sich –, betritt
er das Lebensmittellager, kommt nach einer Weile wieder hervor und reicht mir den gefüllten Sack.
Ein wenig später habe ich in der Pferdebox einige
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