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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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befürchtete, der
     Hengst würde in der schmalen Gasse mitten unter den Menschen unruhig, sobald die zwei Stuten da wären. In dem Augenblick,
     als ich durch das Südtor ging, bemerkte ich an der Mauer des einen Rundtürmchens einen Postbriefkasten. Er hatte seine schöne
     gelbe Farbe verloren, sie war abgeblättert, und das Relief der Aufschriften war weggeschmolzen.
    »Schau nur«, sagte zu mir Marcel, der neben mir herging, »der Schlüssel hängt noch dran. Der Postbote, der arme Teufel, ist
     verkohlt in dem Augenblick, als er ihn leeren wollte. Der Kasten muß rotglühend geworden sein, hat es aber im großen ganzen
     überstanden.«
    |327| Er drehte den Schlüssel im Schloß um. Das Türchen ließ sich tadellos öffnen und schließen. Ich nahm Marcel beiseite und zog
     ihn auf die Straße nach Malejac hinaus.
    »Nimm den Schlüssel an dich und hebe ihn auf. Wenn ich eine Botschaft für dich habe, lasse ich sie in diesen Kasten legen.«
    Er nickt zustimmend, und ich blicke ihm freundschaftlich in seine intelligenten schwarzen Augen, auf die an seiner Nasenspitze
     bebende Warze und auf seine mächtigen Schultern, die unfähig sein werden, ihn vor der Traurigkeit zu behüten, die ich in ihm
     aufkommen sehe. Ein paar Minuten spreche ich noch mit ihm. Ich weiß, wie allein sich Marcel fühlen wird, wenn er in sein Haus
     ohne Catie, ohne Evelyne zurückkehrt und dabei die wenig erfreuliche Aussicht hat, in den nächsten Tagen der Vergeltung Fulberts
     und der Verminderung der Rationen ausgesetzt zu sein. Doch gelingt es mir nicht ganz, mich zu konzentrieren. Ich denke zu
     sehr an Malevil, habe es eilig, wieder dort zu sein. Ohne die Mauern von Malevil um mich fühle ich mich so verwundbar wie
     ein Einsiedlerkrebs ohne seine Schale.
    Während wir reden, lasse ich meinen Blick über die Menschen schweifen, die um uns sind, ohne Ausnahme alle Überlebenden von
     La Roque, einbegriffen die beiden Säuglinge, der eine von Marie Lanouaille, der Frau des jungen Fleischers, und der andere
     von Agnès Pimont, zwischen denen Miette, völlig in Ekstase, hin und her wechselt; die Falvine, erschöpft von so vielen Schwätzchen,
     ist bereits auf dem Wagen untergebracht, wo Jacquet den erregten und wiehernden Malabar, so gut er kann, im Zaum hält.
    In der hellen Mittagssonne ist den Leuten von La Roque anzusehen, wie glücklich sie sind, ihren erstickenden Mauern für ein
     paar Minuten entkommen zu sein. Dennoch bemerke ich, daß sie sich auch in Abwesenheit Fabrelâtres zu keinerlei Äußerung hinreißen
     lassen, weder über ihren guten Seelenhirten noch über die Zuteilung der Lebensmittel oder über Armands Fiasko. Ich habe den
     Verdacht, daß es Fulbert durch ein Zusammenspiel von kleinen Hinterhältigkeiten und kalkulierten Indiskretionen gelungen ist,
     ein Klima von Denunziation, Mißtrauen und Unsicherheit zu schaffen. Ich merke, daß sie nicht wagen, sich Judith, Marcel und
     Pimont auch nur zu nähern, als hätte die religiöse Obrigkeit den Kirchenbann über sie verhängt. Und als ob |328| die Kälte, die Fulbert mir beim Abschied gezeigt hatte, schon genügte, den Umgang mit mir gefährlich zu machen, scharen sie
     sich auch nicht mehr um mich wie noch vorhin auf dem Schloßplatz. Und bald darauf, wenn ich ihnen dann ein allen zugedachtes
     Auf Wiedersehen! zurufe – jenes Auf Wiedersehen, das Fulbert mir zu sagen sich gehütet hat –, werden sie mir nur mit dem Blick
     antworten, aus der Ferne und ohne ein Winken, ohne ein Wort zu wagen. Es ist klar, daß die Befestigung der Macht schon im
     Gange ist. Sie fühlen wohl, Fulbert wird sie diese redliche Zuteilung teuer bezahlen lassen. Fast sind sie mir, kaum sind
     mein Brot und meine Butter verdaut, deshalb schon böse …
    Ihr Verhalten betrübt mich, aber ich kann es ihnen nicht verargen. In der Knechtschaft tritt eine entsetzliche Logik in Kraft.
     Ich höre Marcel zu – Marcel, der bei ihnen geblieben ist, um sie zu verteidigen! –, an den in La Roque kein Mensch mehr das
     Wort richtet außer Pimont und Judith. Diese ist ein Geschenk des Himmels! Die weise Ratgeberin der Revolution! Unsere Jeanne
     d’Arc – nur daß sie nicht Jungfrau ist, der Punkt, auf den sie Wert gelegt hat, um »Irrtümern vorzubeugen«. Sie mußte wohl
     bemerkt haben, wie betrübt Marcel war, denn sie taucht neben ihm auf und bemächtigt sich sogleich seines Bizeps, den er ihr,
     scheint mir, mit deutlichem Vergnügen überläßt, während seine schwarzen Augen sich

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