Malevil
von Wert wäre! Es geht nicht mehr darum, oder besser: Darum geht es noch nicht wieder.
Wir sind aus dem Stadium des Edelmetalls in das des Tauschhandels zurückgefallen. Das Zeitalter der Juwelen und des Geldes
ist noch fern. Unsere Enkel werden es vielleicht kennenlernen. Wir nicht.
Mélusine spitzt die Ohren, sie stutzt, und an der nächsten Biegung steht wenige Meter vor uns, mitten auf der Straße, eine
winzige Schattenfigur. Ich bringe die Stute zum Stehen.
»Ich wußte ja, ich würde dich treffen«, sagt Evelyne und kommt ganz ohne Furcht heran, klein und zerbrechlich neben dem gewaltigen
Pferd. »Die beiden habe ich stehenlassen. Sie sind dabei, sich zu küssen, daß es eine Wucht ist! Wie wenn ich nicht da wäre!«
Ich muß lachen und sitze ab.
»Komm, wir wollen wieder zu ihnen.«
Ich hebe sie vorn in den Sattel, wo sie wahrhaftig recht wenig Platz einnimmt.
»Klammere dich mit beiden Händen am Sattelknauf fest.
« Ich steige wieder auf und ziehe die Zügel beiderseits ihres |331| kleinen Körpers durch. Ihr Kopf reicht mit dem Scheitel nicht über mein Kinn.
»Lehn dich an meine Brust.«
Ich bringe Mélusine wieder in Trab und spüre, wie Evelyne zittert.
»Geht’s denn?«
»Ein wenig Angst habe ich.«
»Lehn dich ungenierter an. Halt dich nicht steif. Laß dich gehen!«
»Es rüttelt so sehr.«
»Du kannst nicht fallen, meine Arme halten dich.«
Ich umfasse sie ein wenig enger und lege zwei-, dreihundert Meter schweigend zurück.
»Geht’s jetzt?«
»O ja«, sagt sie in verändertem, schwingendem Ton. »Es ist ganz herrlich! Ich bin die Braut des Burgherrn, und er nimmt mich
mit auf seine Burg!«
Das hat sie sich wohl ausgedacht, um ihren Bammel loszuwerden. Während sie mit mir spricht, dreht sie den Kopf zu mir um,
und ich spüre ihren Atem an meinem Hals. Nach einer Weile beginnt sie wieder.
»Du solltest La Roque und Courcejac erobern.«
»Wieso erobern?«
»Mit der Waffe in der Hand.«
Dieser Ausdruck muß eine Erinnerung an ihre letzte Geschichtsstunde sein. Die letzte für immer.
»Nun, und was würde das ändern?« frage ich.
»Armand und den Pfarrer würdest du über die Klinge springen lassen und der König des Landes werden.«
Ich muß lachen. Da haben wir ein Programm, das zu mir paßt. Besonders das Über-die-Klinge-springen-Lassen.
»Nun, machen wir’s?« fragt Evelyne, dreht sich nach mir um und sieht mich mit feierlich ernsten Augen an.
»Ich will darüber nachdenken.«
Mélusine beginnt zu wiehern. Malabar, der unbeirrt dreißig oder vierzig Meter hinter uns her trabt, erwidert ihr. Vor uns,
an der Biegung der Straße auf einmal sichtbar geworden, Morgane, die Thomas ungeniert ihr Kinn auf den Kopf legt, während
er leidenschaftlich Catie abküßt.
»Oh, wie spaßig sie sind, alle drei!« sagt Evelyne.
|332| »Emmanuel«, sagt Thomas, der mich mit etwas verschwommenen Augen betrachtet, »darf ich Catie auf die Kruppe nehmen?«
»Nein, das darfst du nicht.«
»Du hast doch auch Evelyne auf Mélusine genommen.«
»Sie hat nicht das gleiche Gewicht. Sie hat nicht das gleiche Volumen, und es ist nicht …« Ich wollte hinzufügen: Es ist nicht
der gleiche Reiter, aber mit Rücksicht auf Catie halte ich mich zurück.
Inzwischen kommt Malabar heran und ist so aufgeregt, daß ihm Jacquet vom Wagen aus nicht mehr gewachsen ist und Colin aussteigen
muß, um ihn zu halten, während Catie zur Großmutter hinaufklettert. Die vom Etang zeigen Freude, aber keine Verwunderung,
denn bei der Abfahrt in La Roque hatte Miette die unter den Säcken verborgenen Koffer entdeckt, sie geöffnet und die Sachen
ihrer Schwester erkannt.
»Komm, Thomas, reiten wir voraus«, sage ich. »Malabar wird nicht zu halten sein, wenn wir in der Nähe bleiben.«
Sobald mir der Vorsprung ausreichend erscheint, falle ich wieder in Schritt.
»Emmanuel«, sagt Thomas atemlos zu mir, als wäre er gelaufen, »Catie möchte, daß du uns morgen traust.«
Ich sehe ihn an. Niemals war er so schön gewesen. Die griechische Statue hat sich beseelt. Aus seinen Augen, aus seiner Nase,
aus seinen halb geöffneten Lippen schlagen die Flammen des Lebens.
»Catie möchte, daß ich euch traue?« wiederhole ich ungläubig.
»Ja.«
»Und du?«
Starr vor Staunen sieht er mich an.
»Und ich auch, natürlich.«
»Ganz so natürlich ist das nicht. Schließlich bist du Atheist.«
»Wenn du mir so kommst«, sagt er in scharfem Ton, »bist du kein wahrer Priester.«
»Du irrst
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