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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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das Einatmen. Weshalb ich mir das Gegenteil
     vorgestellt hatte, weiß ich nicht. Wenn ich richtig verstehe, erstickt sie zweifach: weil sie die verbrauchte Luft nicht rasch
     genug ausstoßen und die frische Luft nicht rasch genug einatmen kann. Der Husten kommt noch dazu. Ein trockener Husten, der
     sie rüttelt und erschöpft. Und ihr nicht die geringste Linderung bringt.
    Während ich beobachte, wie ihre magere Brust einfällt und sich wieder hebt, kommt mir ein Gedanke. Wenn ich sie nun durch
     mechanische Vorgänge beim Atmen unterstützte? Nicht, indem ich sie flach auf den Rücken lege, sondern so, wie sie ist, in
     einer Haltung, die ihr erlaubt, zu husten und bei Bedarf zu spucken. Ich setze mich auf das Bett, lehne mich an das Kopfteil,
     hebe sie mit meinen Armen an und bette sie so zwischen meine Beine, daß sie mich im Rücken hat. Dann lege ich beide Hände
     oben an ihre Arme und begleite ihre Bewegung beim Ausatmen mit einer doppelten Übung: Ich drücke ihr die Schultern nach vorn
     und beuge gleichzeitig ihren Brustkorb. Beim Einatmen verfahre ich umgekehrt: Ich führe die Schultern wieder nach hinten und
     ziehe ihren Oberkörper an mich.
    Ich weiß nicht, ob das von Nutzen ist, was ich mache. Es ist mir auch gleichgültig, ob ein Mediziner meine Bemühungen lächerlich
     fände. Trotzdem verschaffe ich Evelyne wohl eine gewisse, mindestens moralische Erleichterung, denn zwischendurch sagt sie
     einmal mit erloschener, kaum hörbarer Stimme: Danke, Emmanuel!
    Ich fahre damit fort. Sie läßt sich unter meinen Händen völlig |351| gehen, und nach einer Weile merke ich, daß ich ihren Oberkörper, so extrem leicht er auch ist, schwerer handhaben kann. Ich
     vermute, die Ermüdung trägt dazu bei, daß ich zuweilen einschlummere, denn ich stelle fest, das Lämpchen ist erloschen, ohne
     daß ich es ausgehen sah.
    Mitten in der Nacht, glaube ich, denn meine Armbanduhr habe ich auf den Schreibtisch gelegt, und der Zeitbegriff ist mir abhanden
     gekommen, wird Evelyne von einem heftigen Hustenanfall gerüttelt, und sie bittet mich mit kaum wahrnehmbarer Stimme um mein
     Taschentuch. Ich höre sie lange spucken und sich räuspern. Der Hustenanfall kommt mehrmals wieder, und jedesmal mit Auswurf.
     Dann läßt sie sich, erschöpft, aber erleichtert, an meine Brust sinken.
    Als ich die Augen wieder öffne, ist es heller Tag, die Sonne flutet durch den Raum, und ich liege mit der fest eingeschlafenen
     Evelyne im Arm in unbequemer Haltung quer über dem Bett. Im Schlaf muß ich aus der sitzenden in die liegende, ziemlich verdrehte
     Haltung gerutscht sein, in der ich mich wiederfinde. Als ich aufstehe, habe ich eine Zerrung in der linken Hüfte und einen
     steifen Hals. Ich lege Evelyne gerade und schön flach ins Bett zurück und kann ihr, ohne sie zu wecken, sogar das Stück Bindfaden
     abnehmen, das ich ihr ins Haar geknüpft hatte. Mit ihren Augenringen, den eingefallenen Wangen und der weißen Gesichtsfarbe
     würde man sie für tot halten, wenn man sie nicht atmen hörte.
    Um elf Uhr bringe ich ihr auf einem kleinen Tablett eine Schale mit warmer, gezuckerter Milch und eine Scheibe Schwarzbrot
     mit Butter und wecke sie. Es kostet viel Mühe, sie zum Essen oder Trinken zu bewegen. Schließlich aber komme ich, halb mit
     Schmeicheleien, halb mit Drohungen, annähernd ans Ziel. Die Drohung besteht darin, daß ich ihr sage, sie müsse ab heute abend
     wieder in ihr Bett zurück, wenn sie nicht ißt. Das reicht für zwei oder drei Happen, und plötzlich kehrt sie die Erpressung
     mit unerhörter Lebhaftigkeit gegen mich. Sie verweigert glatt das Essen, wenn ich ihr nicht verspreche, sie in meinem Zimmer
     zu behalten. Schließlich einigen wir uns auf einen Kompromiß. Mit jedem Schluck Milch gewinnt sie einen Tag. Mit jedem Bissen
     Butterbrot einen zweiten. Nach mancherlei Feilschen werden wir uns darüber einig, was unter Schluck und was unter Bissen zu
     verstehen ist.
    |352| Als Evelyne ihr kleines Frühstück beendet hat, schulde ich ihr zweiundzwanzig Tage Gastfreundschaft. Da ich befürchte, nun
     für die Zukunft völlig entwaffnet zu sein, behalte ich mir das Recht vor, ihr Tage abzuziehen, wenn sie bei der folgenden
     Mahlzeit nicht ihren Anteil ißt. Sie protestiert: Was kann dich hindern, mir ganze Berge auf meinen Teller zu türmen? Ich
     verspreche ihr, nicht zu mogeln und daß die Portion für Evelyne, ihrem Alter angemessen, von allen Anwesenden gemeinsam festgelegt
     werden soll. Evelyne

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