Malevil
bereits, daß ich ihn nicht einholen werde. Er rennt wie ein kleines Kind, das seine Füße über den Boden
schleift, doch er kommt sehr schnell vorwärts, und sein Atem ist unerschöpflich.
An der Haarnadelkurve kann ich, ohne mich umzudrehen, die Menou aus Leibeskräften laufen sehen, und hinter ihr Evelyne. Diese
fortgesetzten Disziplinverstöße entmutigen mich aufs äußerste. Jetzt bin ich überzeugt, daß auch Catie und Thomas ihren Posten
verlassen und uns folgen werden: Malevil wird ohne Verteidiger bleiben. Unsere ganze Habe, alle unsere Vorräte, alle unsere
Tiere jedem preisgegeben, der hinein möchte! Ich bin verzweifelt, das Herz schlägt mir gegen die Rippen, ich laufe mit zusammengebissenen
Zähnen, meine Kehle schnürt sich zusammen, daß es mich schmerzt. Ich bin vor Wut und Besorgnis außer mir.
Von ferne sehe ich, wie Peyssou, Colin, Meyssonnier und Jacquet, mit dem Rücken zu mir, die Waffe in der Hand, in einer Linie
stehen. Sie sind völlig regungslos. Sie sagen nichts. Sehen versteinert aus. Was sie versteinert, weiß ich nicht, doch ihre
Haltung ist nicht die von Menschen, die bedroht sind, die sich verteidigen müssen oder Angst haben. Sie sind einfach stumm,
in Statuen verwandelt, schauen sich auch nicht um, als sie meine Schritte hören.
Bei ihnen angelangt, sehe ich nun selbst. Etwa zehn Meter vor uns hocken oder liegen an die zwanzig auf die letzte Stufe körperlichen
Verfalls heruntergekommene, zerlumpte Gestalten in unserem Korn. Die Haut ihrer Gesichter, die nicht bleich, sondern richtig
vergilbt ist, hängt von den Knochen. Einige sind derart entkräftet, daß sie ihre Blicke nicht mehr einzustellen vermögen und
grauenhaft schielen. Unter leisem, furchtsamem Gebelfer fressen sie die halbreifen Ähren ab. Sie nehmen sich nicht einmal
Zeit, das Korn aus der Hülse zu lösen, sie fressen alles. Ich bemerke, daß sie grün um den Mund sind, was beweist, daß sie
auch versucht haben, Gras abzuweiden. Wie eine zum Skelett abgemagerte Herde Vieh. Ihre Schielaugen flackern vor Angst und
Gier. Und sie werfen scheue Blicke |363| auf uns, während sie sich die Mäuler eiligst mit Ähren vollstopfen. Wenn sie daran zu ersticken drohen, speien sie ihre Nahrung
in die hohle Hand zurück, um sie dann gleich wieder zu verschlingen. Auch Frauen sind unter ihnen, man erkennt sie nur an
der Länge ihrer Haare, denn ihre entsetzliche Magerkeit hat sie um jedes sichtbare Geschlechtsmerkmal gebracht. Kein einziger
hat eine Flinte. Aber Forken und Knüttel kann ich auf den Getreidehalmen liegen sehen.
Der Anblick ist so jammervoll, daß ich eine Weile brauche, um mir klarzumachen, daß sie unsere Ernte bereits zu einem Viertel
verwüstet haben und sie gänzlich verderben werden, wenn wir nicht einschreiten. Aber dieses Getreide, das sie verheeren oder
verschlingen, ist unser Leben. Wenn wir sie gewähren lassen, das Korn von Malevil ungestraft zu vernichten, dann wird auch
Malevil auf den Stand einer umherziehenden, verhungerten Horde herabsinken wie so viele andere. Denn ich bin sicher, diese
ist nur die erste, die wir zu Gesicht bekommen.
Peyssou steht neben mir. Er scheint sich meiner Anwesenheit nicht bewußt zu sein. Aber der Schweiß läuft ihm über das Gesicht.
»Wir haben alles versucht«, sagt Colin mit einer von Schmerz und Zorn erstickten Stimme. »Wir haben mit ihnen gesprochen,
wir haben sie angeschrien. Wir haben in die Luft geschossen. Wir haben mit Steinen auf sie geworfen. Die Steine machen ihnen
nichts aus, sie schützen den Kopf mit einem Arm und fressen weiter!«
»Aber was sind das nur für Menschen?« fragt Meyssonnier mit einem Ausdruck von Verblüffung, den ich zu anderer Zeit komisch
gefunden hätte. »Und woher kommen sie?«
In ohnmächtiger Wut ruft er ihnen auf patois zu: »Haut doch ab, zum Teufel! Ihr seht doch, daß ihr unser Korn verwüstet! Und
was sollen wir dann essen?«
»Ach was«, sagt Colin, »Patois oder Französisch, sie antworten nicht mal! Sie fressen. Und da haben wir uns über einen Dachs
geärgert!«
»Und wenn wir mit dem Gewehrkolben dazwischenschlagen?« sagt Peyssou endlich mit erstickter Stimme.
Ich schüttle den Kopf. Auf ihre Schwäche dürfen wir uns nicht verlassen. Von einem Wesen, das nicht mehr aus und ein |364| weiß, ist alles zu erwarten. Und Gewehrkolben gegen Heugabeln ergäbe ein ungleiches Gefecht. Nein. Ich weiß, welchen einzig
logischen Entschluß ich fassen müßte. Auch
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