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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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überhäuft.
    Zuerst mußten die Toten beerdigt werden. Es war eine grausige Plackerei, die sich dadurch noch komplizierte, daß ich verboten
     hatte, ihnen nahe zu kommen. Ich befürchtete, sie könnten Ungeziefer haben und dadurch möglicherweise Seuchen verbreiten,
     gegen die wir wehrlos sein würden. Ich erinnerte mich nämlich, daß der Floh die Pest und die Laus das Fleckfieber übertragen
     kann. Der erbärmliche Zustand dieser unglücklichen Menschen und auch der Umstand, daß sie, nach den Lumpen zu urteilen, die
     sie an den Füßen trugen, vermutlich von weither gekommen waren, machten sie mir nur noch verdächtiger.
    Wir hoben in nächster Nähe des Leichenfeldes einen Graben aus, legten Reisigbündel hinein und auf das Reisig Brennholz. Dann
     zogen wir mit Hilfe einer Schlinge, die am Ende einer Stange befestigt war, jedem Toten einen Strick um den Fuß und zerrten
     ihn auf den Scheiterhaufen. Im ganzen hatte es achtzehn Tote gegeben, darunter fünf Frauen.
    Es war elf Uhr abends, als wir die letzte Schaufel Erde auf die noch heiße Asche warfen. Ich wollte nicht, daß wir Malevil
     in den Kleidern beträten, die wir am Leibe hatten. Ich läutete am Torbau und sagte zu Catie, sie solle uns zusammen mit Miette
     zwei Waschzuber voll Wasser bringen. Dorthinein legten wir unsere Kleider und die Leibwäsche und betraten nackend das Schloß,
     um uns im Badezimmer des Bergfrieds der Reihe nach zu duschen. Wir nahmen sorgfältig alle Körperteile in Augenschein, aber
     Ungeziefer fand sich bei keinem. Am nächsten Morgen wurde unter den beiden Waschzubern vor dem Torbau ein großes Feuer entfacht,
     und wir ließen den |367| Inhalt lange kochen, bevor wir ihn ins Schloß brachten und zum Trocknen an der Sonne ausbreiteten.
    Zum Essen saßen wir alle sechs im Saal des Wohnbaus beisammen, Catie bediente uns. Auch Evelyne war zugegen, doch redete ich
     sie nicht an, und sie getraute sich nicht, mir nahe zu kommen. Miette, Falvine und die Menou hielten im Torbau Totenwache
     bei Momo. Die Mahlzeit verlief in Stille. Ich war völlig erschöpft, und meine Empfindungen waren wie abgestorben. Neben der
     stumpfen, tierischen Befriedigung, zu essen, zu trinken und wieder zu Kräften zu kommen, empfand ich nichts als ein ungemeines
     Bedürfnis nach Schlaf.
    Doch davon konnte nicht die Rede sein. Es waren Entscheidungen zu treffen, und nach Tisch mußte noch am selben Abend eine
     Versammlung abgehalten werden. Die Frauen wollte ich nicht dabeihaben. Ich hatte Thomas sehr unangenehme Dinge zu sagen und
     wollte es nicht in Gegenwart von Catie tun. Auch die Anwesenheit Evelynes, die ich nicht aus meinem Zimmer verjagt hatte,
     aber auch nicht anredete, war mir bei den Debatten unerwünscht.
    Die Gesichter, die mich umgaben, waren von Erschöpfung und Trübsal gezeichnet. Mit unbeteiligter Stimme und äußerster Vorsicht
     begann ich zu sprechen. Wir haben, sagte ich, schlimme Stunden hinter uns. Es sind Fehler begangen worden. Wir müssen sie
     gemeinsam herausfinden, und vorerst soll jeder seine Meinung über das Geschehene sagen.
    Langes Schweigen.
    »Fang an, Colin«, sage ich.
    »Nun«, sagt Colin, ohne jemanden anzublicken, mit erstickter Stimme, »mir tut es leid um Momo, aber es tut mir auch um die
     leid, die wir umgebracht haben.«
    »Meyssonnier?«
    »Ich meine«, sagte Meyssonnier, »die Organisation war nicht gut, und es sind viele disziplinlose Handlungen vorgekommen.«
    »Peyssou?«
    »Der arme Momo, kann man sagen, hat es wohl auf eine Art gesucht. Aber trotzdem, wie Colin sagt …«
    »Jacquet?«
    »Ich denke wie Colin.«
    »Thomas?«
    |368| Um ihn Distanz merken zu lassen, habe ich ihn als letzten angeredet, aber mit dieser Distanz hat er sich schon im voraus abgefunden,
     indem er den freien Platz neben mir nicht eingenommen hat. Thomas richtet sich auf. Er wendet mir das Gesicht nicht zu, sondern
     schaut vor sich hin und zeigt mir ein erregtes Profil. Obwohl er steif dasitzt, hat er beide Hände in den Hosentaschen, eine
     Haltung, die man an ihm nicht gewohnt ist. Ich nehme an, er versteckt die Hände, weil sie ihm wohl ein wenig zittern.
    Nur mit Mühe hält er seine Stimme unter Kontrolle.
    »Da Meyssonnier schon von disziplinlosen Handlungen geredet hat, möchte ich erklären, daß ich mir deren zwei vorzuwerfen habe.
     Zum ersten: Emmanuel hatte mir befohlen, mich nicht erst anzukleiden, sondern das Gewehr zu nehmen und so, wie ich war, hinunterzugehen.
     Ich aber nahm mir die Zeit, mich

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