Malevil
mangels Gegenstand aufhört: Die Zivilisation, von deren Verlauf
sie erzählte, hat ein Ende genommen.
|65| Um acht Uhr ging ich, um meine Post zu holen, in den Torbau, wo die Menou und Momo wohnten. Dort begegnete ich wie jeden Morgen
dem Briefträger Boudenot, einem hübschen krausköpfigen Jungen, ein wenig gerötet schon und tapsig nach dem Wein von Hof zu
Hof. Er saß am Küchentisch, trank von dem meinen und hob mir zu Ehren bei meinem Anblick eine halbe Hinterbacke. Ich bat ihn,
sitzen zu bleiben, und nahm meine Briefe vom Tisch; die Menou holte ein Glas aus dem Wandschrank und füllte es für mich. Wie
jeden Morgen lehnte ich ab, und sie trank es aus, »bloß damit es nicht umkommt«.
Als sie gestärkt war, ging sie zu den ernsthaften Dingen über. Heute morgen, Emmanuel, müssen wir uns nun endlich entschließen,
den Wein abzuziehen, weil wir bald keinen mehr haben. Ich zucke ungeduldig die Achseln. Fangen wir doch gleich an, sage ich,
um zehn muß ich mit Germain nach La Roque fahren. Macht nur, ich gehe, sagt Boudenot und erhebt sich taktvoll. Ich sehe noch
sein schwarzes Kraushaar, sein breites Lächeln und seine fröhlichen Augen, wie er fest auf seinen Beinen vor mir steht, mir
zum zweitenmal die Hand reicht und der Wein in seinem Magen gluckert; er ist glücklich, jeden Morgen so viele Leute zu sehen
und mit dem kleinen gelben Postauto umherzugondeln, die Zigarette im Mund und den Hintern bequem auf seinem Kissen: Ein schöner
Beruf für einen schönen jungen Mann, der etwas gelernt hat, der sich nicht irrt, wenn er die Anweisungen ausbezahlt, und der
eines Tages in den »Genuß« seiner Pension kommen wird. Dann macht er auf den Absätzen kehrt, und sein breiter Rücken schiebt
sich durch den Rahmen der niedrigen Türöffnung.
Den gelben 2 CV, verbeult und verkohlt, können wir später identifizieren. Doch von Boudenot nicht die geringste Spur, nichts,
nicht einmal ein Knochen.
Ich ging in mein Zimmer, um einen Pullover überzuziehen und mit Germain in den Sept Fayards zu telefonieren. Ich benachrichtige
ihn, daß wir nicht vor halb elf nach La Roque fahren würden. Als ich aus dem Bergfried auf den inneren Burghof hinaustrat,
begegnete ich der Menou, und ich riet ihr, sich wärmer anzuziehen, im Keller sei es kühl. Ach, mir ist ja nicht kalt, sagte
sie. Dem Momo schon eher. Ich blickte, während sie redete, von weit oben zu ihr hinunter und sah sie, in Anbetracht ihrer
Statur, aus der Vogelperspektive. Und an ihrer Erscheinung |66| überraschte mich in diesem Moment ein absurdes Detail. Sie war mit einem schwarzen, vom langen Tragen glänzend gewordenen
Arbeitskittel bekleidet, und genau unterhalb des viereckigen Halsausschnittes bemerkte ich, auf der nackten Haut und kaum
zu sehen, eine Reihe von Sicherheitsnadeln. Mit Verwunderung, wie ich mich erinnere, fragte ich mich, was sie dort wohl zu
suchen hätten und an welchem Wäschestück sie befestigt sein mochten, doch sicherlich nicht an einem Büstenhalter, denn was
hätte der arme zu halten gehabt? Doch, Menou, sagte ich, während ich die Nadeln anstarrte, nimm du nur auch einen Pulli mit.
Im Keller ist es frisch, wozu willst du dir etwas wegholen. Nein, nein, mir ist nicht kalt, sagte die Menou, ob aus Härte
gegen sich selbst oder eitler Ruhmsucht, ich hätte es nicht zu sagen gewußt.
In ziemlich übler Laune installiere ich meine Abfüllvorrichtung und setze mich auf meinen Hocker, in zwanzig Schritt Abstand
von der Menou. Denn der Keller ist riesig, »größer als der Schulhof«. Er wird von Glühlampen erleuchtet, die in Nischen verborgen
sind, und für den Fall einer Störung von dicken Kerzen, die in Wandleuchtern stecken. Er ist weder zu trocken noch zu feucht;
seine Temperatur hält sich im Winter wie im Sommer bei plus dreizehn Grad, wie das Wandthermometer über der Wasserzapfstelle
zeigt. Der beste Kühlschrank, sagt die Menou, die hier unsere Konserven aufbewahrt und an den Gewölben unser Schlachtgut hängen
hat.
Um die Wasserzapfstelle hat die Menou ihr »Werkzeug« gruppiert: Flaschenreiniger, über einem Bottich mit Wasserzufluß befestigt,
Abtropfbrett und Flaschenpfropfmaschine. Sie ist ganz bei der Sache und, im Gegensatz zu mir, bei bester Laune. Für sie, die
doch nur mäßig trinkt, ist Weinabziehen eine sakrale Handlung, ein antikes Fest, die feierliche Bestätigung unseres Überflusses,
das Versprechen künftigen Frohsinns. Für mich ist es eine
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