Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
sagte Colin. »Sie sind sich völlig einig.«
    Ich blickte Meyssonnier an und machte mich wieder an meine Arbeit. 1970, als ich den Posten des Schulleiters niederlegte,
     um die Nachfolge meines Onkels anzutreten, hatte man mich in Malejac der Leichtfertigkeit bezichtigt. Und als ich Malevil
     kaufte, sehr einfach: Emmanuel ist trotz seiner Bildung genauso verrückt wie sein Onkel. Aber die fünfundsechzig Hektar undurchdringlichen
     Dickichts verwandelten sich in fettes Wiesenland. Aber der Weinberg von Malevil wurde neu bepflanzt und gab einen hervorragenden
     Wein. Und ich verdiente »Unsummen« an den Burgbesichtigungen. Und vor allem war ich in den Schoß der Orthodoxie von Malejac
     zurückgekehrt: Ich hatte wieder Kühe gekauft. In sechs Jahren also hatte sich mein Ansehen in der öffentlichen Meinung meines
     Dorfes rasch erhöht. Aus einem Verrückten war ich zu einem schlauen Fuchs geworden. Und warum sollte ein Schlaufuchs, der
     seine Geschäfte so gut besorgte, nicht ebensogut die der Gemeinde wahrnehmen?
    Mit einem Wort, Malejac täuschte sich zweimal. Das erstemal, als es mich für einen Narren hielt. Das zweitemal, als es mir
     die Gemeindeverwaltung anvertrauen wollte. Denn ich hätte keinen guten Bürgermeister abgegeben, für dieses Amt interessierte
     ich mich nicht genug. Und Malejac, getreu seiner Blindheit, hatte den richtigen Bürgermeister vor den Augen und sah ihn nicht.
    Momo ließ beide Türen hinter sich offen, als er zurückkehrte; freilich hatte er die Hände voll, er brachte nicht drei Gläser,
     sondern sechs, was bewies, daß er nicht gewillt war, sich selber zu vergessen. Alle sechs ineinandergeschoben, seine dreckigen
     Finger tief in dem oberen. Ich stand auf.
    »Gib her«, sagte ich rasch und befreite ihn von seiner Last. Bei ihm beginnend, gab ich ihm das verschmierte Glas.
    |72| Ich zog eine Flasche vom Jahrgang 75 ab, dem besten meiner Ansicht nach, und machte inmitten der üblichen Ablehnungen und
     Proteste die Runde, um einzuschenken. Als ich damit fertig war, kam Thomas herunter, der aber selbstverständlich beide Türen
     sorgfältig hinter sich zumachte, und wie er ohne eine Spur von Lächeln auf uns zutrat, glich er mehr denn je einem griechischen
     Standbild, dem man den Sturzhelm eines Motorradfahrers aufgesetzt und einen schwarzen Regenmantel angezogen hat.
    »Nimm ein Glas«, sagte ich und reichte ihm das meine.
    »Nein, danke«, sagte Thomas. »Ich trinke am Morgen nicht.«
    »Nochmals guten Tag!« sagte Peyssou mit höflichem Lächeln. Und da Thomas ihn anblickte und weder sein Lächeln noch seinen
     Gruß erwiderte, setzte Peyssou beschämt hinzu: »Wir haben uns heute morgen schon gesehen.«
    »Vor etwa zwanzig Minuten«, sagte Thomas mit unbewegtem Gesicht. Ganz offenbar hielt er es nicht für nötig, noch einmal guten
     Tag zu sagen, da er es ja bereits getan hatte.
    »Ich wollte dir nur mitteilen«, sagte Thomas mit einem Blick auf mich, »daß ich heute nicht zum Mittagessen da bin.«
    »Stell doch mal deine Heule ab«, schrie ich Momo an. »Du tötest uns noch den Nerv!«
    »Hörst du, was Emmanuel sagt?« rief die Menou.
    Momo entfernte sich ein paar Schritte und klemmte betroffen, ohne die Lautstärke auch nur im geringsten zu vermindern, sein
     Transistorgerät unter den linken Arm.
    »Da hast du dir aber was Feines ausgedacht zu Weihnachten!« sagte ich zur Menou.
    »Der Arme!« sagte sie und wechselte sogleich das Lager. »Er muß doch wohl ein wenig Unterhaltung haben, wenn er deine Ställe
     saubermacht!«
    Ich blickte sie sprachlos an. Doch dann entschied ich mich zu lächeln und runzelte nur ein wenig die Stirn. So hatte ich,
     wie ich hoffe, den Sieg der Menou anerkannt und zugleich meine Autorität gesichert.
    »Ich sagte dir, daß ich zum Essen nicht zurück sein werde«, wiederholte Thomas.
    »Einverstanden«, erwiderte ich, und da Thomas sich zum Gehen wandte, sagte ich auf patois zu Meyssonnier: »Wegen der Wahlen
     sei unbesorgt, wir werden schon ein Mittel finden, diesen Paulat unschädlich zu machen.«
    |73| Nach meiner Erinnerung ist in ebendieser Sekunde alles in seiner Bewegung erstarrt wie in einer Szene im Musée Grévin, wo
     die historischen Persönlichkeiten für immer in vertraute Attitüden gebannt sind. Im Mittelpunkt die von Meyssonnier, Colin,
     dem großen Peyssou und mir gebildete Gruppe; die Gläser in der Hand und mit angeregten Gesichtern, sind alle vier auf einem
     Planeten, der vier Milliarden menschlicher Wesen zählt,

Weitere Kostenlose Bücher