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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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minutenlang in kochendes Wasser gehalten. Schreckensstarr
     vor Grausen, sehe ich, daß ihm bluttriefende Fleischfetzen von der Brust, von den Seiten und von den Beinen hängen. Trotzdem
     hält er sich irgendwie aufrecht und sieht mich an, und obwohl sein Gesicht nur noch eine blutende Wunde ist, erkenne ich ihn
     an seinen Augen: Es ist Germain, mein Arbeiter aus den Sept Fayards.
    »Germain!« sage ich.
    Und sofort, als hätte er nur diesen Anruf abgewartet, bricht er zusammen, wälzt sich herum und bleibt mit gestreckten Beinen |81| und gekreuzten Armen reglos auf dem Rücken liegen. Durch die offene Tür schlägt mir ein Luftstrom von so glühender Hitze entgegen,
     daß ich mich entschließe, aus dem Bottich zu steigen und die Tür zuzumachen. Und so unglaublich es klingen mag, ich gelange
     tatsächlich bis an die Tür, kriechend oder auf allen vieren, ich weiß nicht mehr; mit meinem ganzen Gewicht werfe ich mich
     gegen die schwere eichene Türfüllung, die setzt sich schließlich in Bewegung, und mit unendlicher Erleichterung höre ich das
     Schloß einschnappen.
    Ich keuche, ich triefe von Schweiß, die Fliesen versengen meine Haut, und ich frage mich in unsagbarer Angst, ob ich meinen
     Bottich wieder erreichen werde. Hingestreckt auf Ellbogen und Knie, mit hängendem Kopf, bin ich kaum ein paar Meter von Germain
     entfernt und habe nicht die Kraft, mich bis zu ihm zu schleppen. Es ist auch zwecklos. Ich weiß es bereits. Er ist tot. Und
     während mir der Fußboden Ellbogen und Knie verbrennt und ich gegen den Drang ankämpfen muß, mich gehenzulassen und zu sterben,
     da schaue ich auf den Leichnam Germains, und in plötzlicher Erleuchtung begreife ich zum erstenmal, daß wir von einem Ozean
     aus Feuer umgeben sind, in dem alles, was Mensch, Tier oder Pflanze war, verzehrt worden ist.

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    Eben lese ich meinen Bericht durch, und es fällt mir einiges in die Augen, was ich vor dem Schreiben nicht bemerkt hatte.
     Zum Beispiel frage ich mich, wie der arme Germain, den das Feuer der Kleider, ja sogar seiner Haut beraubt hatte, im Sterben
     noch die Kraft fand, bis zu uns zu gelangen. Ich nehme an, er hatte in den Sept Fayards die dringende Botschaft eines Kunden
     erhalten; da er mich im Weinkeller wußte und mich telefonisch nicht erreichen konnte, hat er sich wahrscheinlich auf sein
     Motorrad gesetzt und wurde erst in dem Moment, als er in Malevil einfuhr, überrascht: an einem Ort also, wo ihn bereits die
     Felswand einigermaßen gegen den Flammenteppich abschirmte. Nach dieser Hypothese wäre er sozusagen nur von den Rändern der
     gigantischen Flammenzunge beleckt worden, die sich blitzartig von Norden nach Süden ausbreitete. Damit, so meine ich, erklärt
     sich, warum er nicht völlig vom Feuer verzehrt worden ist wie die meisten Menschen in Malejac, von denen nichts übrigblieb
     als ein paar geschwärzte Knochen unter einer Ascheschicht.
    Hätte Germain den Hof des Bergfrieds ein paar Sekunden eher erreicht, wäre er möglicherweise mit dem Leben davongekommen.
     Die Burg selbst erlitt tatsächlich nur geringen Schaden, denn die riesige Felswand, von der sie überragt wird, hatte sich
     mit ihrer Masse zwischen den Feuerstrom und den Bau gestellt.
    Noch etwas anderes fällt mir auf: Von dem Moment an, als das Eisenbahngeratter (dieser Ausdruck, ich wiederhole es, erscheint
     mir lächerlich!) in dem Weinkeller einsetzte, gefolgt von dieser entsetzlichen Backofenhitze, trat bei meinen Gefährten und
     bei mir selbst so etwas wie eine Lähmung der Glieder, der Sprache und sogar des Denkens ein. Wir redeten sehr wenig, wir rührten
     uns noch weniger, und am erstaunlichsten ist, daß ich mir, bevor Germain erschien, keine klare Vorstellung davon machte, was
     sich außerhalb des Kellers ereignete. |83| Sogar hinterher dachte ich noch in sehr verschwommenen Begriffen und zog keinerlei Schlüsse aus dem Stromausfall, aus dem
     anhaltenden Schweigen der Rundfunksender, aus dem unmenschlichen Donnern und aus dem schreckenerregenden Ansteigen der Temperatur.
    Zugleich mit der Fähigkeit, vernünftig zu denken, verlor ich das Zeitgefühl. Selbst heute vermöchte ich nicht zu sagen, wieviel
     Minuten zwischen dem Zeitpunkt, als das Licht ausging, und dem Augenblick, als die Tür sich öffnete und Germain hereinkam,
     vergangen sind. Das rührt, glaube ich, daher, daß es mehrere Lücken in meiner Wahrnehmung gegeben hat, die nur noch zeitweilig
     und in sehr abgeschwächter Form in Funktion

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