Malevil
hielt mir verzweifelt die Hände an die Ohren, ich bückte mich, krümmte mich zusammen und merkte,
daß ich vom Kopf bis zu den Füßen zitterte. Dieses krampfhafte Zittern, dessen bin ich sicher, war eine rein physiologische
Reaktion auf die Intensität dieses Höllenlärms, den der Organismus kaum mehr ertragen konnte. Denn in diesem Moment hatte
ich mich noch nicht zu ängstigen begonnen. Ich war zu stumpf, zu betäubt, um einen Gedanken zu fassen. Ich begriff nicht einmal,
daß der Krach alles Maß übersteigen mußte, wenn er durch zwei Meter dicke Mauern bis in diesen tiefen Keller drang.
Ich preßte meine Hände gegen die Schläfen, ich zitterte und hatte die Empfindung, der Schädel würde mir platzen. Zugleich
gingen mir blödsinnige Gedanken durch den Kopf. Entrüstet fragte ich mich, wer den Inhalt meines Glases verschüttet haben
konnte, das ich zwei Meter vor mir umgekippt liegen sah. Ich fragte mich auch, weshalb Momo, bäuchlings und mit dem Gesicht
zur Erde, auf den Steinfliesen lag und sich beide Hände über den Nacken hielt und weshalb die Menou, die ihn an den Schultern
rüttelte, den Mund weit aufriß, ohne einen einzigen Laut von sich zu geben.
Wenn ich von »Getöse«, »Höllenlärm«, »Donnergrollen« sprach, so konnte ich keine Vorstellung von dem Unmaß dieses Lärms vermitteln.
Nach einer Zeit, die ich nicht genau anzugeben wüßte, hörte er auf. Nach ein paar Sekunden, glaube ich. Ich bemerkte es, als
ich zu zittern aufhörte und als Colin, der die ganze Zeit rechts von mir auf dem Boden gesessen hatte, mir etwas ins Ohr sagte,
ich verstand nur das Wort »Krach«. Zugleich vernahm ich klägliche Jammerlaute. Das war Momo.
Ich löste vorsichtig die Hände von meinen gepeinigten Ohren, und die Jammerlaute, in die sich die Ermahnungen der Menou mischten,
wurden gellender. Dann hörte das Gejammer auf, die Menou schwieg, und nach dem unmenschlichen Getöse, das hinter uns lag,
sank eine Stille über den Keller herab, die |76| so tief, so ungewöhnlich und schmerzhaft war, daß ich hätte schreien mögen. Es war, als hätte ich an dem Lärm eine Stütze
gehabt und fände mich nun, da der Lärm vorbei war, haltlos im Leeren. Zugleich fühlte ich mich außerstande, mich zu rühren,
und mein Gesichtsfeld war eingeengt: Außer der Menou und Momo, die vor mir lagen, konnte ich niemanden sehen, nicht einmal
Colin, obgleich er sich, wie er mir nachträglich versicherte, nicht von der Stelle bewegt hatte.
Mit der Stille irgendwie verknüpft, befiel mich ein Gefühl des Grauens. Zugleich merkte ich, daß ich nach Atem rang und daß
ich naß von Schweiß war. Ich zog, ich riß mir den Rollkragenpullover vom Leibe, doch ich spürte kaum einen Unterschied. Der
Schweiß trat mir unvermindert auf die Stirn, lief mir über die Wangen, brach mir unter den Achseln und an den Lenden hervor.
Ich litt brennenden Durst, meine Lippen waren ausgetrocknet, die Zunge klebte mir am Gaumen. Nach einer Weile merkte ich,
daß mir der Mund offenstand und daß ich wie ein Hund hechelte, ohne daß ich das Gefühl los wurde, ersticken zu müssen. Dabei
fühlte ich mich aufs äußerste erschöpft; mit dem Rücken an ein Faß gelehnt, saß ich auf dem Boden und war außerstande, zu
sprechen oder mich zu rühren.
Keiner sagte ein Wort. Im Keller war es jetzt grabesstill, man hörte nur das Keuchen des Atems. Ich sah wieder meine Gefährten,
doch es war ein verschwommenes Bild, das gleich Schwäche und Schwindelgefühl zur Folge hatte, als sollte ich bewußtlos werden.
Ich schloß die Augen. Der Versuch, einen Blick in die Runde zu werfen, überstieg meine Kräfte. Ich dachte an nichts, ich fragte
mich nichts, nicht einmal, warum ich fast am Ersticken war. Zusammengesackt und bewegungsunfähig, lag ich wie ein verendendes
Tier in meinem Winkel, keuchte, schwitzte und hatte unsägliche Angst. Ich würde sterben, dessen war ich völlig sicher.
Ich sah das Gesicht von Thomas in meinem Blickfeld erscheinen und allmählich deutlicher werden. Thomas hatte den Oberkörper
nackt, er war bleich und schweißbedeckt. Zieh dich aus, hauchte er. Ich war überrascht, daß ich nicht eher daran gedacht hatte.
Ich zog Hemd und Unterhemd aus. Thomas half mir dabei. Zum Glück hatte ich nicht meine Reitstiefel an, denn es wäre mir auch
mit seiner Hilfe nicht gelungen, sie auszuziehen. Der geringste Handgriff fiel mir schwer. Ich |77| setzte dreimal an, mir die Hose auszuziehen, und
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