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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Stück für Stück
     in die Welt zu setzen.
    Ich war sicher, jetzt hatte er verstanden – so gut wie Colin, wie Meyssonnier. Die aber versuchten, sich dem gräßlichen Gedanken
     an das Verlorene durch Flucht in Betäubung und Regungslosigkeit zu entziehen, während Peyssou nach vorn flüchtete, indem er
     alles bestritt und sich anschickte, blindlings zu seinem eingeäscherten Haus zu laufen.
    Ich legte mir ein paar Sätze zurecht und wollte schon sagen: Du kannst dir vorstellen, Peyssou, nach der Temperatur zu urteilen,
     die hier drinnen geherrscht hat … Doch nein, das durfte ich nicht sagen. Das war zu deutlich.
    Ich senkte abermals die Stirn und sagte mit Nachdruck: »Du kannst nicht einfach so weggehen.«
    »Willst du mich vielleicht daran hindern?« fragte Peyssou herausfordernd. Er redete mit schwacher Stimme und strengte sich
     dabei jämmerlich an, seine breiten Schultern zu recken.
    Ich antwortete nicht. In der Nase und in der Kehle verspürte ich einen faden, süßlichen Geruch, der mir Ekel verursachte.
     Als die Kerzen in den beiden Wandleuchtern erloschen waren, hatte jemand, Thomas vielleicht, den nächsten Leuchter angezündet,
     so daß der Teil des Kellers, wo ich mich befand, in der Nähe der Wasserzapfstelle, zum großen Teil in Halbdunkel gehüllt war.
     Ich benötigte eine Weile, um zu begreifen, daß der lästige Geruch von Germains Leichnam kam, der, kaum sichtbar, neben der
     Tür lag.
    Ich hatte ihn ganz vergessen, wie ich merkte. Peyssou, der mich immer noch mit jenem Ausdruck von Haß und Beschwörung ansah,
     folgte meinem Blick und schien für einen Moment zu erstarren, als er der Leiche ansichtig wurde. Dann wandte er den Blick
     rasch und beschämt ab, als wollte er entschieden leugnen, was er gesehen hatte. Er war jetzt als einziger von uns angekleidet,
     und obwohl der Weg zur Tür frei und ich außerstande war, ihm den Weg zu verlegen, rührte er sich nicht.
    |88| Beharrlich, aber ohne jede Kraft wiederholte ich: »Du siehst, Peyssou, du kannst nicht einfach so weggehen.«
    Doch ich hätte nicht reden sollen, denn Peyssou schien, gestützt auf meine Worte, wieder etwas Antrieb zu gewinnen; ohne uns
     völlig den Rücken zu kehren, aber auch ohne rückwärts zu gehen, machte er seitlich ein paar zögernde, ungeschickte Schritte
     in Richtung zur Tür.
    In diesem Moment bekam ich Hilfe von einer Seite, von der ich sie am wenigsten erwartet hatte. Die Menou öffnete die Augen,
     und ganz so, als säße sie in ihrer Küche im Torbau und läge nicht nackt und bleich in einem Keller, sagte sie auf patois:
     »Emmanuel hat recht, Großer, du kannst nicht einfach so weggehen. Du mußt einen Brocken essen.«
    »Nein, nein«, sagte Peyssou, ebenfalls auf patois. »Ich dank dir schön, aber ich brauche nichts. Danke.«
    Doch schon war er in die Falle der bäuerlichen Einladungen mit ihrem komplizierten Ritual von Ablehnen und Annehmen geraten
     und blieb stehen.
    »Aber ja, aber ja doch«, sagte die Menou und trieb die gebräuchliche Zeremonie Schritt für Schritt weiter. »Es kann dir nicht
     schaden, wenn du etwas zu dir nimmst. Und uns auch nicht. Monsieur le Coultre«, wandte sie sich auf französisch an Thomas,
     »würden Sie mir Ihr kleines Messer leihen?«
    »Wenn ich dir doch sage, daß ich nichts brauche!« erwiderte Peyssou, dem diese Reden unermeßlich wohltaten und der die Menou
     mit einer kindlichen Dankbarkeit anblickte, als klammerte er sich an die vertraute, Sicherheit gewährende Welt, die sie repräsentierte.
    »Aber ja, aber ja«, sagte die Menou in ruhiger Gewißheit, daß er annehmen würde. »Los«, sagte sie und schob Momos Kopf von
     ihren Knien herunter, »mach jetzt, daß ich aufstehn kann.« Und da sich Momo winselnd an ihre Knie klammerte, fuhr sie auf
     patois fort: »Los, hör auf jetzt, alte Memme!« und versetzte ihm einen kräftigen Klaps auf die Wange. Wo sie diese Reserven
     an Kraft hernahm, weiß ich nicht, denn als sie sich nackt, winzig und skeletthaft erhob, war ich wieder einmal überrascht
     von ihrer äußerlichen Hinfälligkeit. Trotzdem knotete sie ohne jeden Beistand die Nylonschnur auf, die zu einem der über unseren
     Köpfen hängenden Schinken gehörte, ließ ihn herunter und band ihn los, während ihr Momo, weiß im Gesicht |89| und eingeschüchtert, zusah und ein säuglinghaft forderndes Quarren von sich gab. Als sie zu ihm zurückkehrte und den Schinken,
     um ihn auszuwickeln, auf das Faß zu Häupten ihres Sohnes legte, hörte er zu

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