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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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nahe
     daran, in meine Betäubung zurückzufallen. Ich mußte mir die Wörter aus der Kehle pressen und war doch entsetzt, wie ungemein
     schwach meine Stimme war, als ich ihn fragte: »Welche … Lösung?«
    Die Antwort ließ so lange auf sich warten, daß ich meinte, Thomas sei bewußtlos. Doch an dem Druck seiner Schulter merkte
     ich, daß er seine Kräfte zusammenraffte, um zu sprechen. Mit großer Mühe verstand ich ihn.
    »Hinaufsteigen …«
    Während er das sagte, machte er eine schwache, gequälte Handbewegung und wies mit dem Zeigefinger kurz auf die Brüstung.
    »Hinabstürzen … aus«, ergänzte er in einem Atemzug.
    Ich schaute ihn an. Dann wandte ich den Blick ab. Ich fiel in meine Passivität zurück und dachte zusammenhanglos. Doch mitten
     unter den verworrenen Gedanken tauchte eine klarere Vorstellung auf, die mich festhielt. Hätte ich wie Colin, Meyssonnier
     und Peyssou Frau und Kinder gehabt, wären sie jetzt am Leben, die Gattung Mensch wäre nicht zum Verschwinden verurteilt, und
     ich wüßte, für wen ich zu kämpfen hätte. So aber mußte ich in den Keller zurückkehren, meinen Gefährten sagen, daß sie die
     Ihren verloren hatten, und mit ihnen das Verschwinden des Menschen abwarten.
    »Nun?« fragte Thomas mit kaum hörbarer Stimme.
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Nein.«
    »Warum nicht?« fragte Thomas tonlos mit den Lippen.
    »Die anderen.«
    Die Klarheit des Denkens, mit der ich das gesagt hatte, tat mir wohl. Ich mußte heftig husten, und es kam mir der Gedanke,
     daß der Stumpfsinn, in den ich versunken war, vielleicht ebensosehr von dem eingeatmeten Rauch wie von dem furchtbaren seelischen
     Schock herrührte, den ich erlitten hatte. Mit Mühe erhob ich mich.
    »Der Keller.«
    Taumelnd und ohne auf Thomas zu warten, betrat ich die enge Wendeltreppe und stieg oder vielmehr purzelte hinunter. In Voraussicht
     von Touristenbesuchen in Malevil hatte ich |100| glücklicherweise eine eiserne Griffstange an der Krümmung der Wand angebracht, und obwohl mir die Handfläche jedesmal brannte,
     klammerte ich mich daran, wenn ich mit dem Fuß eine Stufe verfehlte. Auf dem kleinen Hof zwischen Bergfried und Wohnbau holte
     Thomas mich ein und sagte zu mir: Deine Pferde! Ich schüttelte verneinend den Kopf und beschleunigte, ein Schluchzen unterdrückend,
     meine Schritte. Der Gedanke, sie sehen zu müssen, erfüllte mich mit Entsetzen. Ich war sicher, daß sie alle tot waren. Ich
     hatte nur einen Gedanken: mich so rasch wie möglich in meinem Bau zu verkriechen.
    Als ich den Weinkeller betrat, fand ich es dort so kalt, daß mich fröstelte, und als erstes nahm ich meinen Pullover, warf
     ihn mir über die Schultern und band mir die Ärmel um den Hals. Colin war dabei, Wein abzuziehen, während Meyssonnier die gefüllten
     Flaschen zur Menou trug, die sie verkorkte. Ich war sicher, die Initiative ging von der Menou aus, die wohl entschieden hatte,
     daß es keinen Grund gab, die begonnene Aufgabe nicht zu Ende zu führen. Auf jeden Fall tat es mir unermeßlich wohl, sie auf
     diese Weise beschäftigt zu sehen. Ich trat heran, griff nach einer Flasche, trank, reichte sie Thomas weiter und lehnte mich
     an ein Faß, um mir mit dem Pulloverärmel den Schweiß abzuwischen, der mir, während ich doch fröstelte, immer noch vom Gesicht
     troff. Ich fühlte, wie sich meine Gedanken nach und nach wieder einstellten.
    Nach einer Weile erst merkte ich, daß meine Gefährten völlig in Reglosigkeit erstarrt waren und daß sie mich, ohne ein Wort
     zu sagen, ängstlich und sogar flehentlich ansahen. Im übrigen wußten sie schon, was geschehen war, da ja weder Meyssonnier
     noch Colin oder Peyssou den Mut gehabt hatten, Fragen an mich zu richten. Allein die Menou, das merkte ich, wollte von mir
     etwas hören, hütete sich aber zu sprechen und heftete den Blick auf die drei Männer, weil sie begriffen hatte, was mein beharrliches
     Schweigen für sie bedeutete.
    Ich kann nicht sagen, wie lange es anhielt. Am Ende fand ich es wohl weniger grausam zu sprechen, als weiterhin zu schweigen.
    »Wir sind nicht weit gewesen. Wir sind auf den Bergfried gestiegen«, sagte ich leise und sah sie an. Mit trockener Kehle fuhr
     ich fort: »Es ist schon so, wie ihr dachtet. Es ist nichts mehr da.«
    |101| Sie waren darauf gefaßt gewesen und schienen dennoch tödlich getroffen, als ich den Mund auftat. Der einzige, der reagierte,
     war Peyssou. Mit hervortretenden Augen machte er taumelnd drei Schritte auf mich zu,

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