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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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die aus der Mauer vorsprangen,
     führten auf eine Brüstung, die einen Meter breit, aber ohne Geländer war. Diese Brüstung, vor der sich ein weites Panorama
     auftat, hatte der Onkel für gefährlich für mich gehalten, als ich zwölf Jahre alt war.
    Ich blieb stehen, um Atem zu holen. Kein Himmel. Der bleigraue Schleier breitete sich bis an den Horizont aus. Die Luft schien
     zu glühen. Mir zitterten die Knie, und Schweißtropfen fielen von meiner Stirn auf den Stein, während ich mühsam und kurzatmig
     die letzten Stufen erstieg. Die Brüstung betrat ich nicht. Ich fürchtete, das Gleichgewicht zu verlieren. So blieb ich auf
     der letzten Stufe stehen, Thomas auf der vorletzten.
    Ich warf einen Blick in die Runde, und ich erstarrte. Ich muß ins Schwanken gekommen sein, denn ich fühlte, wie Thomas’ Arm
     schwer auf meinem Rücken lag und mich gegen die Mauer drückte.
    Was ich zuerst sah, dafür hatte ich keinen Feldstecher nötig. Die Sept Fayards brannten nieder. Von den herabgestürzten Dächern,
     von Fenstern und Türen war nichts mehr zu sehen. Nur noch geschwärzte Mauerreste standen vor dem Grau des Himmels und da und
     dort ein Baumstumpf, der wie ein Pfahl aus der Erde ragte. Es wehte kein Lüftchen. Lotrecht stieg schwarzer, dicker Rauch
     aus den Ruinen auf, und stellenweise sah man nahe am Boden rote Flammen in ununterbrochener Linie sich ausbreiten, mal höher,
     mal niedriger, als würde ein Schmorfeuer unterhalten.
    Etwas weiter entfernt, zu meiner Rechten, konnte ich Malejac nur schwer wiedererkennen. Der Kirchturm war verschwunden. Auch
     die Post. Für gewöhnlich war sie gut zu sehen gewesen, denn das häßliche einstöckige Gebäude stand ganz vorn an der Straße,
     die entlang der Anhöhe nach La Roque führt. Das ganze Dorf sah aus, als wäre es mit einem Fausthieb plattgedrückt |96| und über den Erdboden verstreut worden. Nicht ein Flecken Grün mehr. Kein Ziegeldach. Alles war von der Farbe der Asche, schwarz
     und grau, wenn nicht gerade eine Flamme hervorzüngelte, die sofort wieder erstarb.
    Mit bebenden Händen nahm ich den Feldstecher vor die Augen und stellte ihn ein. Colin und Meyssonnier hatten ihr Haus auf
     dem Hang, der gegen die Rhunes abfällt, der eine im Weiler, der andere ein wenig außerhalb. Vom ersten fand ich keine Spur,
     das zweite aber erkannte ich an einem Giebel, der stehengeblieben war. Von Peyssous Hof und den schönen Ziertannen, die ihn
     umgaben, war nichts als ein kleiner schwärzlicher Hügel geblieben.
    Ich ließ meinen Feldstecher sinken und sagte mit leiser Stimme: »Nichts mehr.«
    Thomas nickte, ohne zu antworten.
    Ich hätte sagen sollen: kein Mensch mehr, denn es war auf den ersten Blick klar, daß, von unserer kleinen Gruppe abgesehen,
     ringsum das ganze Land mit allen seinen Bewohnern tot war. Die Aussicht, die man vom Bergfried herab hatte, kannte ich seit
     Ewigkeiten. Als mir der Onkel zum erstenmal seinen Feldstecher geliehen hatte, verbrachte ich, mit denen vom Zirkel auf der
     Brüstung liegend (ich spüre noch die wohlige Wärme des Steins auf meinen nackten Schenkeln), einen langen Nachmittag damit,
     alle Bauernhöfe auszumachen, die verstreut im Hügelland lagen. Und das alles selbstverständlich mit einem großen Aufwand von
     Geschrei, Flüchen und ordentlichem Geplänkel. Guck doch, du Idiot, ob das nicht Favelard ist, dort zwischen Les Bories und
     La Volpinière! Was hast du denn auf den Augen? Um eine Packung Gauloises – wetten, daß es Favelard ist! Cussac? Cussac, du
     mußt doch spinnen! Cussac ist dort links neben Galinat, das erkenne ich an dem Tabakschuppen!
    Und jetzt halte ich Ausschau nach allen diesen Bauernhöfen, die ich immer dort gesehen hatte: Favelard, Cussac, Galinat, Les
     Bories, La Volpinière und viele andere, weiter entfernt, von denen ich die Namen, nicht aber immer die Besitzer kannte, und
     ich sah nichts als schwärzliche Ruinen und brennende Wälder.
    An Wäldern war in unserer Gegend kein Mangel. Wenn man im Sommer auf dem Bergfried stand, sah man, so weit das |97| Auge reichte, ein frisches, dunkelgrünes Wogen von Kastanienwäldern, dort und da unterbrochen durch Kiefern oder Eichen und
     in den Tälern durch Pappelreihen, die, zum Zwecke künftigen Gewinns hier angepflanzt, inzwischen schöne Vertikalen in die
     Landschaft setzten – ebenso wie die provençalischen Zypressen, die einzeln neben den Höfen standen, denn das war ein kostbarer
     Baum, den man sich zum Vergnügen und des

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