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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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würdigen Anblicks wegen hinstellte.
    Pappeln, Zypressen, Eichen und Kiefern, alles war jetzt verschwunden. Von den unermeßlichen Kastanienwäldern, die ganze Hügel
     bedeckten und nur auf dem Gipfel ein paar kahle Stellen ließen, wo sie auf ebener Fläche oder auf sanften Hängen den Wiesen
     und Häusern Platz machten, sah man nur noch Flammen und aus den Flammen ragende geschwärzte Pfähle, die unter jenem Knattern
     und Pfeifen starben, das ich, als ich aus dem Keller heraustrat, vernommen hatte. Das in Massen von den Bäumen herabgestürzte
     Geäst brannte auf dem Boden weiter, so daß der Feuergürtel, der sich um die Hügel legte, den Eindruck erweckte, als sei die
     Erde selbst am Verbrennen.
    Auf der Fahrstraße längs der Rhunes, ein wenig unterhalb der eingestürzten und ausgebrannten Burg Les Rouzies, gewahrte ich
     einen toten Hund. Da die Straße nahe war und mein Glas stark vergrößerte, konnte ich alle Einzelheiten erkennen. Man wird
     einwenden: Ein toter Hund, wenn so viele Menschen ihr Leben verloren haben! Das ist wahr, aber es ist ein Unterschied zwischen
     dem, was man weiß, und dem, was man sieht. Daß in den Dörfern und Höfen um Malevil Hunderte von Lebewesen wie Fackeln gebrannt
     haben, wußte ich, doch dieser Hund war, nach den Vögeln auf dem Burghof, der einzige Kadaver, den ich sah, und unter den Umständen,
     die zu seinem Tode geführt hatten, bestürzte mich ein entsetzliches Detail. Das arme Tier muß versucht haben, von dem Feld
     oder aus dem Zwinger, wo es sich aufhielt, zu flüchten, und als es auf die Straße kam, die es für gewöhnlich einschlug, verfingen
     sich seine Pfoten in dem geschmolzenen Teer des Fahrdamms; dort blieb es kleben, schmorte auf der Stelle und verendete. Durch
     meinen Feldstecher konnte ich deutlich die vier Gliedmaßen in der schwärzlichen, kiesdurchsetzten teigigen Masse stecken sehen;
     als der Hund zusammenbrach, hatte sie sich mitziehen lassen und um jede seiner Pfoten einen kleinen Kegel gebildet.
    |98| Ohne Thomas anzusehen, ohne mir auch nur zu vergegenwärtigen, daß er da war – so als wären nach dem, was geschehen war, die
     Beziehungen von Mensch zu Mensch unmöglich geworden –, sagte ich mehrmals mit schwacher Stimme: Wie entsetzlich, wie entsetzlich,
     wie entsetzlich! Eine manische Litanei, die ich nicht anzuhalten vermochte. Die Kehle war mir wie in einen Schraubstock gepreßt,
     meine Hände zitterten, der Schweiß rann mir in die Augen, und mein Geist war, abgesehen von dem Entsetzen, das ich empfand,
     leer. Ein kleiner Wind kam auf. Ich holte tief Luft, und sofort drang ekelerregender Gestank von Verwesung und verbranntem
     Fleisch mit solcher Gewalt in meinen Körper ein, daß ich glaubte, er ginge von mir aus. Es war zum Erbrechen. Ich hatte die
     Empfindung, noch lebend mein eigener Leichnam zu sein. Es war ein beißender, fauliger und süßlicher Geruch, der sich in mir
     festsetzte und den ich bis ans Ende mit mir herumzutragen hätte. Die Welt war nur noch ein Massengrab, und mich allein hatte
     man mit meinen Gefährten auf diesem Schindanger zurückgelassen, die Toten zu begraben und zu leben mit ihrem Geruch.
    Ich faselte und merkte es auch, glaube ich, denn ich drehte mich um und deutete Thomas an, daß ich hinuntersteigen wollte.
     Auf dem Plattendach des Bergfrieds, wo mir die hohe Brustwehr, die uns umgab, die Aussicht auf den Scheiterhaufen verstellte,
     hockte ich mich nieder, leer und zu keiner Bewegung fähig. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Zustand völliger Entkräftung,
     die bereits dem Tode ähnlich war, verblieben bin. Es war eine Art von psychischem Koma eingetreten: Ohne ganz das Bewußtsein
     zu verlieren, hatte ich weder Reflex noch Willen mehr.
    Ich spürte Thomas’ Schulter an meiner Schulter, und als ich mit einer Langsamkeit, die mich selbst überraschte, den Kopf nach
     seiner Seite wendete, sah ich seine Augen auf mich gerichtet. Es fiel mir schwer, meinen Blick einzustellen, doch dann begriff
     ich, was seine Augen sagen wollten, und sie sagten es um so eindringlicher, als er in den gleichen Zustand versunken war wie
     ich und nicht zu sprechen vermochte.
    Ich sah Thomas auf die Lippen. Sie waren blutleer und trocken, und als er reden wollte, als er nur ein einziges Wort aussprechen
     wollte, fiel es ihm schwer, sie zu bewegen.
    »… Lösung …«
    |99| Die Augen flimmerten mir, als ich mich abermals angestrengt bemühte, ihn anzusehen, denn ich fühlte mich immer wieder

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