Malevil
Zum Glück
konnte ihm aus der Verlegenheit geholfen werden – wie, will ich später erzählen.
Die Menou schimpfte wegen der Bequemlichkeiten, die wir jetzt entbehrten, von morgens bis abends. Wohl zehnmal am Tage knipste
sie an den Lichtschaltern oder schloß aus reiner Gewohnheit ihre Kaffeemühle an (ein paar Kilo Kaffee hatte sie ungemahlen
in Reserve), und jedesmal fluchte sie mit dem unglücklichsten Gesicht der Welt. An ihrer Waschmaschine, an ihrem Bügeleisen,
an ihrem Grill, an ihrem Radio, das sie hörte (oder auch nicht), während sie kochte, an ihrem Fernseher, vor dem sie ohne
Rücksicht auf das Programm allabendlich bis zur letzten Minute saß, hatte sie sehr gehangen. Ihre ganze Verehrung galt dem
Auto, und schon zu des Onkels Zeiten hatte sie Vorwände ersonnen, um sich – vom Markt am Samstag abgesehen – auch in der Woche
nach La Roque fahren zu lassen. Selbst die Ärzte – die sie niemals aufgesucht hatte – fingen an, ihr zu fehlen, seitdem wir
sie nicht mehr hatten. Ihr Ehrgeiz, den Rekord ihrer eigenen Mutter zu schlagen und hundert Jahre alt zu werden, erschien
ihr ernsthaft gefährdet zu sein, und sie beklagte sich täglich darüber. Wenn ich an all den Blödsinn denke, den die Gauchisten
über die Konsumgesellschaft verzapft haben! sagte Meyssonnier zu mir. Hör dir doch die Menou an. Was gibt es Schlimmeres für
sie als eine Gesellschaft, in der es nichts mehr zu konsumieren gibt?
Oder als eine Gesellschaft, in der man nicht mehr die Parteipresse lesen kann. Denn seine Presse, die fehlte Meyssonnier sehr.
Wie auch die Teilung der Welt in zwei Lager: das sozialistische und das kapitalistische; es verlieh dem Leben Sinn und Würze,
wenn das erste Lager für das Wahre kämpfte und das zweite tief im Irrtum befangen war. Da nun beide vernichtet waren, fand
sich Meyssonnier völlig aus der Bahn geworfen. Mit dem Optimismus eines echten Parteiarbeiters hatte er sein Leben auf das
verheißungsvolle Morgen aufgebaut. Nun aber, das lag auf der Hand, würde es für niemand mehr verheißungsvoll sein.
Im Heizungskeller stieß Meyssonnier schließlich auf eine Sammlung alter Nummern von »Le Monde«. (1956, das Jahr der Republikanischen
Front!) Er nahm sie an sich und sagte |127| voll Verachtung: »Le Monde«! Du weißt, wie ich über die Objektivität von »Le Monde« denke! Trotzdem aber las er Nummer für
Nummer von der ersten bis zur letzten Seite durch und ereiferte sich. Er wollte uns sogar Auszüge vorlesen. Colin aber herrschte
ihn grob an: Laß uns doch mit deinem Guy Mollet und seinem Algerienkrieg in Ruhe! Es ist zwanzig Jahre her, seit das alles
passiert ist! –
Mein
Guy Mollet! sagte Meyssonnier und wandte sich voll Empörung an mich.
Durch die Menou erfuhr ich, daß zwischen Colin und Peyssou in ihrem Zimmer nicht alles zum besten stand, und nach und nach
teilte mir dann jeder für sich seine Beschwerden mit.
Peyssou verbreite sich zu ausführlich über seinen familiären Kummer: Die endlosen Erzählungen und Erinnerungen brächten Colin
zur Verzweiflung. Und Colin, du kennst ihn ja, sagte Peyssou zu mir. Sonst schon reizbar wie kein zweiter, ist er jetzt geradezu
ungenießbar und behandelt mich nur noch als großen Blödian. Dazu kommt, er kann es nicht verwinden, daß er nicht mehr täglich
sein Päckchen Tabak zu rauchen hat. Darum ist er ständig wie geladen, wegen jeder Kleinigkeit auf der Palme, und hält mir
immerfort meine Statur vor. Wie wenn ich was dafür könnte.
Ich fragte Meyssonnier, ob es ihm recht wäre, an Colins Stelle zu Peyssou zu ziehen. Denn darauf bestand ich: Peyssou durfte
nicht allein bleiben.
»Immer bin ich der Dumme. Schon in den Zeiten des Zirkels hat man mir die kitzligsten Sachen zugeschoben. Peyssou – nicht
intelligent genug. Colin – nicht verantwortungsvoll genug. Und du, zu sehr mit dem Kommandieren beschäftigt. Von den anderen
rede ich schon gar nicht.«
»Na, na«, sagte ich und lächelte ihn an, »an die kitzligen Sachen hast du dich als Sekretär deiner Zelle immerhin gewöhnt.«
Er ging darüber hinweg.
»Hör zu«, fuhr er fort, »für mich steht Peyssou haushoch über Colin, auch wenn Colin immer dein Liebling gewesen ist. Colin
kann wohl nett sein, aber er kann auch sehr spitz werden. Peyssou ist ein Goldjunge. Dennoch, wenn ich zu Peyssou ziehen soll,
werden wir ihn bitten müssen, seine Erinnerungen zu dämpfen, denn von Erinnerungen habe ich selber den Kopf
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