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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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farbigen Fensterscheiben und einer grauen Schicht von Staub und Asche
     auf dem Gebälk der Decke erinnerte in diesem Saal an das gerade erst überstandene Ereignis. Die Menou hatte bereits den Fliesenboden
     gefegt und gewischt und die glänzenden Nußbaummöbel abgerieben, als wollte sie mit ihrem Mut, zu leben und an den Alltag anzuknüpfen,
     selbst die bloße Erinnerung an das Ereignis auslöschen.
    Trotzdem, den Ausdruck, der sich auf den Gesichtern meiner Gefährten abzeichnete, hatte sie nicht auslöschen können. Alle
     drei aßen, fast ohne sich zu rühren, ohne jemand anzusehen, ohne zu sprechen, als hätten Blicke und Bewegungen den Betäubungszustand
     aufheben können, dank welchem ihr Schmerz noch anästhesiert war. Ich sah voraus, das Erwachen würde furchtbar sein und bei
     ihnen – auf jeden Fall bei Peyssou – zu neuen Krisen der Verzweiflung führen. Nach meiner Unterhaltung mit Thomas und den
     Alpträumen, die darauf folgten, hatte ich die ganze Nacht überlegt und war zu dem Schluß gekommen, daß die einzige Art, dem
     zu erwartenden Schock vorzubeugen, darin bestand, sie unverzüglich zur Arbeit anzuhalten und selbst mitzumachen. Ich wartete,
     bis sie mit dem Essen fertig waren, und sagte: »Hört zu, Jungs, ich brauche eure Hilfe und euern Rat.«
    Sie hoben den Kopf. Was sie für trübe Augen hatten! Und doch, ich sah auch, daß sie auf meinen Appell schon reagierten. Ich
     hatte »Jungs« gesagt, und diese Anrede hatte ich ihnen gegenüber seit dem Zirkel nicht mehr benutzt. Damit knüpfte ich wieder
     an meine alte Art an, und ich zählte darauf, daß auch sie die ihre wiederfänden. Überdies wollte dieses »Jungs« sagen, daß
     wir gemeinsam schwierige Dinge zu bewältigen hatten. Das war ein zweiter, unter dem ersten versteckter Appell.
    »Erstes Problem«, fing ich an. »Im äußeren Burghof liegen einundzwanzig krepierte Tiere: elf Pferde, sechs Kühe und vier |121| Schweine. Ich sage nichts von dem Gestank, ich bin ja nicht der einzige, der ihn riecht, aber klar ist, daß man unter solchen
     Bedingungen nicht leben kann. Am Ende würden auch wir daran krepieren. Nun gut, so ist das eben«, fuhr ich fort. »Er stes und dringendstes Problem: Was tun wir, um diese Tonnen von Kadavern loszuwerden? (Ich betonte das Wort »Tonnen«.) Mein Traktor,
     den ich in der Maternité untergestellt hatte, ist glücklicherweise nicht zerstört. Diesel habe ich noch, keine Riesenmengen,
     aber immerhin. Stricke habe ich und sogar Drahtseile. Also, was machen wir mit den Gerippen?«
    Sie lebten auf. Peyssou schlug vor, die »armen Tiere« auf den öffentlichen Schuttabladeplatz bei Malejac zu ziehen und dort
     liegenzulassen. Doch Colin erinnerte daran, daß der Wind in unserer Gegend hauptsächlich aus dem Westen kommt und uns den
     Kadavergeruch herüberwehen würde. Meyssonnier schlug vor, auf der Straße oberhalb der Schutthalde einen Scheiterhaufen zu
     errichten. Aber ich war dagegen, denn für ein Autodafé von einundzwanzig Tieren hätten wir eine Unmenge Holz gebraucht. Gerade
     Holz würden wir in diesem Winter für die Küche und zum Heizen dringend nötig haben. Und ganz sicher hätten wir uns fürchterlich
     schinden müssen, um da und dort, und häufig in großer Entfernung, die halbverbrannten Baumstämme und Äste zu schneiden, aufzuarbeiten
     und dorthin zu transportieren.
    Es war Colin, der an die Kiesgrube in den Rhunes dachte. Sie lag in der Nähe. Der Weg zu ihr führte bergab, was die Fuhre
     erleichterte. Lagen die Tiere erst einmal in der Grube, konnten wir von der überhängenden Steilwand genügend Sand herunterschaufeln,
     um sie zu bedecken.
    Irgend jemand, ich weiß nicht mehr, wer, wandte ein, wir würden lange zu schaufeln haben. Thomas sagte zu mir: »Hast du nicht
     mal erzählt, daß ihr, Germain und du, um den Graben für die Stromkabel nach Malevil auszuheben, Dynamitpatronen für die felsigen
     Partien verwendet habt?«
    »Doch.«
    »Sind von diesen Patronen noch welche übrig?«
    »Etwa ein Dutzend.«
    »Das ist mehr, als wir brauchen«, sagte Thomas. »Nicht nötig, zu schaufeln. Ich übernehme es, die schräge Wand über den Tieren
     zum Einsturz zu bringen.«
    |122| Wir blickten uns an. Theoretisch war die Angelegenheit entschieden, aber es entging niemandem, daß die Ausführung entsetzlich
     sein würde. Mit einer so negativen Perspektive wollte ich sie nicht auseinandergehen lassen.
    »Es wird auch, und zwar recht schnell, eine Entscheidung wegen der

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