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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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voll.«
    |128| Er erstarrte und fing plötzlich zu blinzeln an, während seine Mundwinkel herabsanken und sein ganzes Gesicht sich langzog.
    »Weißt du, da ist besonders eine Erinnerung, von der ich dir erzählen will. Nachher werde ich nicht mehr davon reden. Vor
     allem möchte ich nicht wiederkäuen. Am Morgen des Tages X wollte mein kleiner Francis mit mir nach Malevil kommen, um sich
     die Burg anzusehen, und ich hatte es ihm bereits erlaubt, als die Mathilde sagte, nein, ich soll ihn in seinem Alter nicht
     schon in unsere dreckige Politik hineinziehen. Da zögerte ich. Ich sehe mich noch, wie ich zögerte. Denn mein Junge sah sehr
     enttäuscht drein. Aber weil ich mich schon am Abend zuvor mit der Mathilde wegen meiner Politik gezankt hatte, und du kennst
     ja die Frauen, da wird geredet und geredet, und dann wird geschmollt, so daß es kein Ende nimmt … Schön. Ich hatte plötzlich
     die Nase voll. Gut, sagte ich, behalte deinen Jungen, ich gehe allein. Kurz, ich wollte keine zweite Szene, vor allem nicht
     so bald nach der ersten. Ich war feige. Und so ist es gekommen. Francis blieb zurück. Schaute mir nach, die Tränen liefen
     ihm über die Wangen. Begreifst du, Emmanuel, wenn ich nicht so feige gewesen wäre, könnte Francis jetzt hier sein.«
    Für eine volle Minute versagt ihm die Stimme. Und auch mir. Aber trotzdem glaube ich, es hat ihm gutgetan, mich an seinem
     bohrenden Schmerz teilhaben zu lassen. Ich weiß nicht mehr, worüber wir hernach noch reden, aber wir reden. Und ich frage
     mich die ganze Zeit, wie ich es anstellen soll, dem großen Peyssou zu sagen, daß er sich nicht so gehenlassen soll. Denn im
     Grunde hat er recht damit. Meyssonnier hat es mir eben bewiesen.
    Adelaide hatte mit dem Ferkeln gewartet, bis wir unsere scheußliche Totengräberarbeit hinter uns hatten. Sie brachte ein Dutzend
     Junge zur Welt. Da sie unzugänglicher denn je war, konnten wir die Ferkel erst zählen, als sie aufstand, und da entdeckten
     wir, daß sie in Wirklichkeit fünfzehn hatte, eine beträchtliche Menge, mit der sie aber ihren früheren Rekord nicht erreichte.
     Alarmiert hatte uns Momo; um die Mittagszeit war er mit struppigen Haaren in den großen Saal des Wohnbaus gestürzt, hatte
     die Arme hochgerissen und gebrüllt: »Emamuel, Abebaibe ageferl!« (Emmanuel, Adelaide hat geferkelt!) Wir ließen unsere Teller
     stehen und rannten zur Maternité, wo Adelaide |129| wimmernd in ihrer Box lag, als sie plötzlich ihren Verschlag von sieben gierigen und geschwätzigen Menschenköpfen umkränzt
     sah. Sie grunzte und knurrte uns an; als sich aber nichts ereignete, machte sie sich wieder ans Werk und warf, eins nach dem
     andern, ihre letzten Ferkel. Und wir, das Kinn auf die hölzernen Pfosten des Verschlages gestützt (er war eins fünfzig hoch,
     denn er war für Pferde bestimmt, und die Menou mußte sich auf zwei Ziegelsteine stellen, um die gewünschte Größe zu erreichen),
     fingen sofort an, über diesen reichen Zuwachs an neuer Nahrung und seine zweckmäßigste Verwendung zu diskutieren. Denn leider
     hatten wir nichts, um fünfzehn Schweine durchzufüttern. Nach dem Ende des Säugens würden wir also einige davon opfern müssen,
     eine Aussicht, von der wir mit heuchlerischer Objektivität redeten, wobei wir uns den Anschein gaben, untröstlich zu sein,
     während uns schon das Wasser im Munde zusammenlief, wenn wir an ein vor dem Kamin gebratenes Spanferkel dachten. Damals merkte
     ich, daß unsere Freßgier etwas Fieberhaftes an sich hatte. Sie hing nicht, wie früher sonst, mit der Freude am Leben zusammen,
     sondern mit der Angst vor der Zukunft. Die Erinnerungen an verflossene Schlemmereien spielten augenblicklich eine ungewöhnliche
     Rolle in unseren Unterhaltungen und bewiesen, daß uns die Furcht vor dem Nahrungsmangel insgeheim wie mit glühenden Zangen
     zwackte.
    Zwei Tage später warf Princesse ein Stierkalb und sicherte dadurch – einen späteren Inzest in Kauf genommen – den Fortbestand
     ihrer Rasse. Die Sache ging nicht leicht, die Menou mußte sich ihrer annehmen, und sie bat Peyssou um Beistand. Der aber erklärte
     sich für nicht zuständig. Gerade dazu habe er schon zu Hause aus Furcht, es falsch zu machen, nicht das Herz gehabt, seine
     Yvette habe der Kuh geholfen, und wenn es zu schwierig war, sei er den lieben Colin holen gegangen. Na schön, dann eben Colin,
     sagte die Menou kurz angebunden. Wir standen alle herum, und als es dunkel wurde, hockte ich mich mit

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