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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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vom Morgen bis zum Abend in bleiches Dämmerlicht gehüllt.
    Thomas meinte, daß die Staubmassen, die von den Atomexplosionen in beträchtlicher Menge in die Stratosphäre geschleudert worden
     waren, die Sonnenstrahlen abfingen. Nach seiner Meinung sollten wir uns auf lange Zeit keinen Regen wünschen. Falls »unsaubere
     Bomben« explodiert waren, selbst in großer Entfernung von Frankreich, konnte das in die Erde dringende Wasser radioaktive
     Bestandteile mit sich führen. Jedesmal, wenn wir uns von Malevil entfernten, bestand er darauf, Gummimäntel, Handschuhe, Stiefel
     und Kopfbedeckungen mitzunehmen, und wies uns gleichzeitig auf die Unzulänglichkeit dieser Sicherheitsmaßnahme hin.
    |132| Abends im Wohnbau war es für die Jahreszeit so empfindlich kühl, daß wir nach dem Essen in einem der monumentalen Kamine des
     Saals ein kleines Feuer unterhielten, an dem wir noch einige Zeit saßen und redeten, »um nicht mit dem lieben Vieh schlafen
     zu gehen« (so die Menou).
    Ich beteiligte mich am Gespräch, manchmal aber saß ich auch auf einem kleinen Hocker, mit dem Rücken gegen den Kaminsockel
     gelehnt, und las, das Buch schräg in der Hand, um es vom Feuer bescheinen zu lassen. Die Menou richtete sich in der Kaminecke
     ein, und wenn die Flamme zu klein wurde, rückte sie die Scheite zurecht oder legte Reisig dazwischen.
    In seinem nachgelassenen Brief, den ich auswendig kannte, hatte der Onkel mir empfohlen, die Bibel zu lesen, und hinzugefügt:
     »Du mußt dich nicht an die Bräuche kehren, auf die Weisheit kommt es an.« Aber ich war seit seinem Tode so sehr mit Malevil
     und den Problemen der Pferdezucht beschäftigt gewesen, daß ich mir dazu keine Zeit »genommen« hatte. Und jetzt hatte ich mir
     eigentlich mehr als früher aufgebürdet, aber seltsam, die Zeit hatte sich verändert, sie war leichter zu handhaben. Ich merkte,
     daß ich sie mir »nehmen« konnte, wann ich wollte.
    An dem Abend, als Bel Amour Malice zur Welt brachte – ich scheue mich, zu glauben, daß ihr Name von Einfluß gewesen sein soll,
     aber noch nie hatte es ein so störrisches Füllen von einer so sanften Stute gegeben –, versank unsere Runde, wie ich schon
     sagte, in Trübsal. Schon vorher, während der Mahlzeit, eisiges Schweigen. Dann, als die Sessel für die abendliche Runde aufgestellt
     waren, die Menou und Momo in der Kaminecke einander gegenübersaßen und ich, mit dem Rücken gegen den Kaminsockel gelehnt,
     beim Lesen war, hielt das Schweigen weiter an, so daß wir Colin fast dankbar waren, als er die Bemerkung machte, in fünfundzwanzig
     Jahren werde es kein einziges Pferd mehr geben.
    »In fünfundzwanzig Jahren«, sagte Peyssou, »was redest du da! Ich sage dir, bei Giraud, nicht bei dem aus La Volpinière, sondern
     bei dem aus Cussac, habe ich einen Wallach gesehen, der auf die Achtundzwanzig zuging. Ein bißchen blind war er ja schon,
     das ist wahr, und so rheumatisch, daß es knirschte, wenn er sich bewegte, aber dem Giraud hat er immer noch seinen Weinberg
     besorgt.«
    »Na gut, sagen wir, in dreißig Jahren«, sagte Colin, »auf die |133| fünf Jahre soll es nicht ankommen. In dreißig Jahren wird Malice tot sein. Und Amarante. Und die arme Bel Amour wird es dann
     schon lange nicht mehr geben.«
    »Sei doch still«, sagte die Menou zu Momo, der ihr in der Kaminecke gegenübersaß oder vielmehr fast schon lag und bei der
     Ankündigung des zu erwartenden Ablebens von Bel Amour zu schluchzen anfing. »Wir reden nicht von morgen, sondern was in dreißig
     Jahren sein wird. Und in dreißig Jahren, wo wirst du dann sein, du Memme?«
    »Trotzdem«, sagte Meyssonnier, »Momo ist neunundvierzig. In dreißig Jahren ist er neunundsiebzig. So alt ist das gar nicht.«
    »Na gut, da will ich dir was erzählen«, sagte die Menou. »Meine Mutter, die ist mit siebenundneunzig Jahren gestorben, ich
     aber mach mir keine Hoffnung, so alt zu werden, vor allem, wie es jetzt ist, ohne Arzt, die kleinste Grippe, und du bist weg.«
    »Das ist nicht erwiesen«, sagte Peyssou. »Selbst in den Zeiten, wo man auf dem Lande von Medizin nicht allzuviel gesehen hat,
     sind die Leute alt geworden. Mein Großvater zum Beispiel.«
    »Na gut, dann eben fünfzig Jahre«, sagte Colin mit einem Anflug von Verzweiflung. In fünfzig Jahren sind wir alle nicht mehr.
     Alle, wie wir hier sitzen, ausgenommen vielleicht Thomas, der dann fünfundsiebzig ist. Na, mein Junge«, fügte er, an Thomas
     gewendet, hinzu, »du wirst dich ja fein

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