Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Felder zu treffen sein. Ich sehe das Problem folgendermaßen:
     Sollen wir riskieren, jetzt ein zweites Mal zu säen? Ich habe eine Menge Gerste hier und auch Heu. Kurzum, ich war versorgt,
     um für etwa zwanzig Stück Vieh die Zeit bis zur nächsten Ernte zu überbrücken. Bis zur 77er Ernte, versteht sich … Da mir
     aber nur noch drei Tiere geblieben sind, die Heu und Gerste brauchen, kann ich damit gut und gerne bis 78 auskommen. Für die
     Zuchtsau habe ich das Nötige und noch mehr. Eher besteht ein Problem für uns selbst.« Und ich fuhr fort: »Für uns ist das
     Brot das Problem. Ich habe keinen Weizen, außer ein wenig Saatgut.«
    Plötzlich lag Spannung in der Luft, und die Gesichter wurden todernst. Ich musterte sie. Es war die große Angst, kein Brot
     zu haben, die in ihren Eingeweiden aus tiefer Vergangenheit hochstieg. Denn sie selbst hatten solchen Mangel nie kennengelernt,
     und ihre Eltern auch nicht, selbst während des Krieges nicht. Mein Onkel hatte mir oft erzählt, daß in unserer Gegend im Jahre
     40 die alten Backöfen wieder in Betrieb genommen worden waren und daß trotz Vichy und seinen Lebensmittelkarten in reichlichem
     Maße schwarzgebacken wurde. Schwere Zeiten dazumal, sagte die Menou, unser Vater redete dauernd davon. Aber weißt du, Emmanuel,
     daß es kein Brot gegeben hätte, habe ich niemals gehört.
    Was beweist, daß die mündliche Überlieferung einstiger Hungersnöte verlorengegangen ist, nicht aber die uralte Angst im Unterbewußtsein
     des Bauern.
    »Für die diesjährige Ernte gebe ich dir völlig recht«, sagte Peyssou. »Als ich gestern aus Malejac zurückkehrte, habe ich
     ein bißchen in dem Acker herumgestochert, wo ich meinen Weizen gesät hatte. (Diese Regung erschien mir nach allem, was er
     durchgemacht hatte, als ein gutes Zeichen.) Und ich habe nichts gefunden«, sagte er und legte seine leeren Handflächen auf
     den Tisch. »Nicht das geringste. Die Erde ist wie gebrannter Ton. Ziegelstaub, könnte man meinen.«
    »Wieviel Saatgetreide hast du?« fragte mich Colin.
    |123| »Um zwei Hektar zu bestellen.«
    »Immerhin«, sagte Meyssonnier.
    Die Menou hielt sich abseits, ein wenig im Hintergrund, um die Männer reden zu lassen, war aber mit unruhigen Augen und vorgerecktem
     Hals ganz Ohr. Keineswegs gewillt, den Tisch abzuräumen, weil sie sich dann von uns hätte entfernen müssen. Und sie verscheuchte
     Momo, der auf seinen großen Füßen um den Tisch strich und tüt, tüt machte, mit einer Kopfnuß. Er verkroch sich schmollend
     in eine Ecke.
    »Ich meine«, sagte Meyssonnier, »du riskierst nichts, wenn du einen halben Hektar umpflügst und da Getreide säst.«
    »Du riskierst nichts!« fuhr der große Peyssou mit einem vorwurfsvollen Blick auf Meyssonnier dazwischen. »Du riskierst, einen
     halben Hektar Saatgut zu verlieren. Und du, Tischler, findest, daß das nichts ist? (Diese Art, den andern mit seinem Beruf
     anzureden, war dem Zirkel eigen und drückte ebensoviel Wohlwollen wie Ironie aus.) Laß dir gesagt sein, daß die Erde, so,
     wie sie jetzt ist, nicht einmal einen einsamen Löwenzahn den Sommer über hervorbringen kann. Auch nicht, wenn du sie bewässerst.«
    Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, packte dann sein Glas und trank es auf einen Zug aus, um seine Worte zu bekräftigen.
     Ich registrierte das mit Erleichterung: An dieser Art zu reden erkannte ich meinen Peyssou wieder.
    »Ich gebe Peyssou recht«, sagte Colin. »Wenn du zu Ostern auf einer Wiese Unkraut verbrennst, bleibt die Stelle den ganzen
     Sommer über kahl. Du mußt das nächste Frühjahr abwarten, bis sie wieder zugewachsen ist. Und was ist ein Haufen brennendes
     Unkraut, verglichen mit dem, was die Erde jetzt zu leiden hatte?«
    »Trotzdem«, sagte Meyssonnier, »wenn du tief genug pflügst und das Untere über das Obere kehrst, gibt es keinen Grund mehr,
     weshalb die Erde nicht tragen sollte.«
    Ich hörte zu und beobachtete sie. Den Ausschlag gab nicht Meyssonniers Argument, sondern eine andere Erwägung. Ihre Familien
     konnte ich ihnen nicht zurückgeben, aber ich konnte ihnen wenigstens eine Beschäftigung und ein Ziel verschaffen. Andernfalls
     würden sie sich in Untätigkeit verzehren, sobald die Pferde begraben sind.
    »Hört mal«, sagte ich. »Ich wäre im Prinzip mit Peyssou und |124| Colin einverstanden. Aber man kann es trotzdem versuchen, als Experiment. (Ich machte eine kurze Pause, um diesem gewichtigen
     Wort seine Wirkung zu verschaffen.) Ohne

Weitere Kostenlose Bücher