Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
Vom Netzwerk:
Meyssonnier, der sie zurückwies.
    |157| »Ich gebe ja zu, daß er Körner sucht«, sagte er sachkundig. »Das erklärt aber nicht, warum er so zutraulich ist. Er könnte
     sich doch alle Gerste, die in der Maternité vergammelt – Amarante zum Beispiel ist so gefräßig, daß sie jedesmal ein gutes
     Viertel davon auf die Erde verstreut –, auch während der Nacht holen.«
    »Ich gebe dir recht«, sagte Colin. »Der Rabe ist, wenn er in Scharen auftritt, mißtrauisch, weil wir Krieg gegen ihn führen.
     Aber einzeln kannst du ihn zähmen. Sieh mal, der Schuster in La Roque, weißt du noch …«
    »Enau! Enau!« schrie Momo, der sich an den Schuster erinnerte.
    »Das ist ein Tierchen mit Verstand«, sagte die Menou. »In dem einen Jahr, erinnere ich mich, hatte der Onkel von Emmanuel
     wegen der Schäden, die sie ihm anrichteten, Knallfrösche in einem Maisfeld ausgelegt. Paff! ging es immerzu. Aber die Raben,
     du wirst es nicht glauben, die scherten sich am Ende überhaupt nicht um die Knallfrösche. Sie flogen nicht mal mehr auf. Pickten
     seelenruhig an den Maiskolben herum.«
    Peyssou mußte lachen.
    »Ach, diese Bande!« sagte er anerkennend. »Der Verdruß, den sie mir bereitet haben! Aber einmal, ein einziges Mal, ist es
     mir gelungen, einen totzuschießen. Mit der 22er Flinte von Emmanuel.«
    Folgte dann, mehrstimmig, ein langes, umständliches Loblied auf den Raben, auf seine Intelligenz, seine Langlebigkeit, seine
     gelegentliche Vertrautheit mit dem Menschen, seine sprachlichen Fähigkeiten. Und als Thomas, ein wenig erstaunt, darauf aufmerksam
     machte, daß er trotzdem ein Schädling sei, ging niemand auf eine so unpassende Bemerkung ein. Denn man durfte einem Schädling
     wohl seinerzeit den Krieg erklären, aber ohne Haß und sogar mit einer gewissen amüsierten Hochachtung vor seinen Listen, weil
     man ja im Grunde verstand, daß jedermann gezwungen ist, sich zu erhalten. Außerdem galt uns gerade dieser Rabe, der unsere
     Hoffnung nährte, daß auch noch anderswo Überlebende existierten, als geheiligt, und wir würden ihm täglich seinen kleinen
     Anteil Körner geben, weil er bereits zu Malevil gehörte.
    Es war Peyssou, der der Unterhaltung ein Ende machte. Am Vorabend hatten wir den von Meyssonnier und Colin zusammengebastelten |158| Pflug auf das kleine Feld am Ufer der Rhunes geschafft, und es drängte Peyssou, mit der Arbeit zu beginnen. Während er sich
     mit seinem schaukelnden Gang zur Box begab, um Amarante zu holen, zwinkerte ich Meyssonnier zu, und Momo war wehrlos, bevor
     er noch hätte uff sagen können. Wir packten ihn fest an beiden Armen und Beinen, hoben ihn hoch und trugen ihn wie einen Ballen
     Stoff raschen Schrittes zum Bergfried. Die Menou trippelte auf ihren mageren Beinchen neben uns her, und jedesmal, wenn ihr
     Sohn »Lammido infrin vadammomal« brüllte, wiederholte sie mit einem kleinen glücklichen Auflachen: Trotzdem mußt du hinein,
     Drecklümmel! Denn Momo zu waschen, was sie seit seiner ersten Windel nahezu ein halbes Jahrhundert lang unablässig besorgt
     hatte, war für sie keineswegs eine lästige Pflicht, wie sie behauptete, sondern ein mütterliches Ritual, das sie trotz des
     Alters ihres Jungen immer noch zärtlich stimmte.
    Auf mein Anraten hin hatte an diesem Morgen niemand die Dusche benutzt: So konnten wir die Badewanne mit lauwarmem Wasser
     füllen und Momo zum Aufweichen hineinsetzen, während Meyssonnier sich über seinen Bart hermachte. Der arme Momo, von einer
     Übermacht unter Wasser gesetzt und entmutigt, leistete keinen Widerstand mehr, und nach einer Weile konnte ich mich davonschleichen;
     Colin ermahnte ich, hinter mir die Tür zu verriegeln, um einem plötzlichen Ausbruchsversuch vorzubeugen. Ich ging in mein
     Zimmer, holte mein Fernglas und stieg auf den Bergfried.
    Während wir im äußeren Burghof beim Diskutieren waren, hatte ich in dem Grau des Himmels eine etwas weniger graue Stelle zu
     unterscheiden vermeint und hoffte nun, La Roque wahrnehmen zu können. Doch das war eine Illusion, wie mir auf den ersten Blick
     klar wurde. Das Fernglas konnte es mir nur bestätigen. Der Himmel wie Blei, die Sicht gleich Null, keinerlei Farbigkeit. Die
     Wiesen, auf denen nicht ein Grashalm verblieben, die Felder, wo kein Sproß Getreide zu sehen war, schienen von einer einförmigen
     grauen Staubschicht bedeckt. Früher, wenn mich Leute aus der Stadt besuchten und von der Höhe des Bergfrieds herab die Aussicht
     bewunderten, lobten sie

Weitere Kostenlose Bücher