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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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offensichtlich viel von seinem Vorsprung eingebüßt. Ich sah Stellen, wo sie sich geweigert hatte weiterzugehen; sie hatte
     gestampft und sich im Kreise gedreht. So sanft sie war, sie hing an ihrem Stall, an Malevil, an Bel Amour, deren Box der ihren
     benachbart war und zu der sie durch die mit Gitterstäben versehene Öffnung hinübersehen konnte. Überdies war sie ein junges
     Tier und scheute noch vor allem möglichen, vor einer Wasserpfütze, vor einem Bewässerungsschlauch, vor einem Stein, an den
     sie stieß, vor einer Zeitung, die der Wind heranwehte. Die Spuren von Schritten neben den Hufspuren zeigten deutlich, daß
     der Mann nicht gewagt hatte, sie ohne Sattel zu reiten. Ein Beweis, daß ihn die Unbändigkeit der englisch-arabischen Stute
     erschreckt hatte und daß er kein guter Reiter war. Es war ein Wunder, daß ihm Amarante trotz ihres Widerstandes dennoch gefolgt
     war.
    Die Rhunes waren ein kaum hundert Meter breiter Streifen Flachland, wo zwischen zwei einstmals bewaldeten Hügelketten die
     beiden Arme des Wasserlaufs von Norden nach Süden flossen und parallel dazu, auf dem Hang des östlichen Hügelsaums, der Landweg
     verlief. Der Räuber war nicht der geradlinigen Straße gefolgt, wo er weithin sichtbar gewesen wäre, sondern dem Fuß der westlichen
     Hügelkette, in deren Verlauf es mehrere Krümmungen gab, die ihn besser den Blicken entzogen. Auf alle Fälle, meinte ich, bestände
     wenig Gefahr, solange er seinen Lagerplatz nicht wieder erreicht hatte. Er und seine Gefährten würden sich auf keinen Kampf
     einlassen, bevor sie nicht Amarante an einem sicheren Ort, in einem Stall oder einer Koppel, untergebracht hätten.
    Dennoch blieb ich wachsam, hatte die Waffe nicht umgehängt, sondern in der Hand, und musterte abwechselnd Erdboden und Horizont.
     Mit Thomas wechselte ich kein Wort. Die Spannung bewirkte, daß ich trotz der Kühle zu schwitzen begann, besonders an den Händen,
     und obgleich Thomas, mindestens dem Anschein nach, ebenso ruhig war wie ich, beobachtete ich bei ihm das gleiche.
    Wir marschierten seit anderthalb Stunden, als sich die Fährte von Amarante von den Rhunes entfernte und im rechten Winkel
     zwischen einem Hügel und einer Felswand nach Westen einbog. Die topographische Lage war ähnlich wie in Malevil: die Felswand
     im Norden und zu Füßen der Felswand ein Wasserlauf, |165| der in Malevil verschwunden, hier aber in Gestalt eines in gleicher Höhe mit den Ufern schnell dahinfließenden Bächleins noch
     vorhanden war. Offensichtlich war nichts getan worden, sein Bett zu vergrößern; das Wasser, das über die Ufer trat, hatte
     den kleinen, kaum vierzig Meter breiten Grund zwischen Hügel und Fels völlig in fauliges Sumpfland verwandelt. Deshalb, so
     erinnere ich mich, hatte der Onkel für die Pferde der Sept Fayards ein Tabu über diese Flur verhängt. Im übrigen hatten wir
     nicht einmal zu Zeiten des Zirkels gewagt, den Fuß in diesen Morast zu setzen, auf dem kein Traktor jemals seine Pneus aufs
     Spiel gesetzt hatte.
    Und doch war mir bekannt, wer hier in einer Grotte des Felsens, die von einer mit Fenstern versehenen Mauer abgeschlossen
     war, wohnte. Menschen, die für roh und wortkarg galten und im Verdacht schlechter Sitten standen, ja schlimmer noch: Es hieß,
     daß sie auf den Besitzungen der Nachbarn wilderten. Monsieur Le Coutellier nannte sie der Art ihrer Behausung wegen die »Höhlenmenschen«,
     ein Name, der uns zu Zeiten des Zirkels sehr gefiel. Für Malejac aber waren sie einfach »die Fremden« und »die Zigeuner«,
     da der Vater aus dem Norden stammte – Gipfel der Verwirrung. Diese Leute waren um so gefährlicher, als sie sich niemals in
     Malejac sehen ließen: Sie besorgten sich ihre Lebensmittel in Saint-Sauveur. Und gewiß auch um so verdächtiger, als man von
     ihnen nahezu nichts wußte, nicht einmal, aus wieviel Personen sich ihr Stamm zusammensetzte. Man erzählte sich jedoch, der
     Vater, von dem der Onkel mir sagte, er sei durch Haltung und Gesichtsausdruck dem Cromagnonmenschen ähnlich, habe zweimal
     Gefängnis »eingesteckt«: ein erstes Mal wegen Schlägerei mit Körperverletzung, ein zweites Mal wegen Schändung seiner Tochter.
     Diese, das einzige Mitglied der Familie, das ich wenigstens dem Namen nach kannte, hieß Catie und diente beim Bürgermeister
     von La Roque. Sie war, hieß es, ein schönes Mädchen mit unverschämt frechen Augen und einem Benehmen, das Stoff für Geschwätz
     hergab. Wenn Notzucht im

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