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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Bademantel.«
    Ich legte den Gürtel über mein Knie, faltete mein Taschentuch zusammen, tränkte es mit Alkohol und legte es behutsam |161| auf die noch immer heftig blutende Wunde; während die Menou die Kompresse festhielt, wand ich Peyssou den Gürtel um die Stirn
     und verknotete ihn über dem Taschentuch. Die Menou gehorchte wortlos, ließ aber die Augen nicht von Momo, der sich gewiß »den
     Tod geholt« hatte, als er durch die Kälte gerannt war.
    »Ich weiß nicht«, sagte Peyssou auf einmal.
    »Du weißt nicht, wie es passiert ist?«
    »Nein.«
    Er schloß wieder die Augen, und ich gab ihm ein paar kurze Schläge auf beide Wangen.
    »Sieh mal, hier, Emmanuel!« sagte Colin.
    Er stand neben dem Pflug, kehrte uns den Rücken und sah mir über die Schulter hinweg mit verstörtem Gesicht in die Augen.
    Ich stand auf und ging zu ihm.
    »Schau dir das an«, sagte er leise.
    Als wir Amarante zum erstenmal anspannten, hatten wir bemerkt, daß der Schnallenriemen fehlte, der die Deichsel hält. Wir
     hatten ihn durch eine Nylonleine ersetzt, die wir mit Hilfe von Windungen und Knoten an dem Holz befestigten. Diese Leine
     war durchgeschnitten.
    »Das kann nur ein Mensch getan haben«, sagte Colin. Er war bleich und hatte ausgetrocknete Lippen. »Mit einem Messer«, sagte
     er noch.
    Ich sah mir die beiden Enden der Leine aus der Nähe an. Der Schnitt war glatt, ohne Aufrauhung oder Zerfaserung. Ich nickte
     wortlos. Zu sprechen war ich außerstande.
    »Der Bursche, der Amarante ausgespannt hat«, fuhr Colin fort, »hat die Schnallen des Schwanzriemens und die linke Schnalle
     am Bauchgurt gelöst, doch bei den Knoten auf der rechten Seite ist er nervös geworden und hat das Messer gezogen.«
    »Vorher«, sagte ich mit bebender Stimme, »hat er Peyssou von hinten niedergeschlagen.«
    Ich gewahrte, daß sich die Menou, Meyssonnier und Momo zu uns gestellt hatten. Sie hielten ihre Augen unentwegt auf mich gerichtet.
     Auch Thomas, der noch bei Peyssou kniete und seinen Rücken stützte, sah mich an.
    »Oje, oje!« sagte die Menou, während sie sich mit einem |162| Blick des Entsetzens umsah, Momo am Arm packte und ihn nahe an sich heranzog.
    Es trat Schweigen ein. Zugleich mit der Angst kam das Gefühl, verhöhnt zu werden, in mir auf. Weiß Gott, mit welcher Inbrunst,
     mit welcher Liebe, mit welch geradezu verzweifeltem seelischem Aufwand wir bei uns selbst gebetet hatten, es möge noch andere
     Menschen geben, die überlebt haben. Freilich, jetzt hatten wir Gewißheit: Es gab welche.

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    Ich wählte die 22er Langrohrbüchse (der Onkel hatte sie mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag geschenkt) und Thomas die Jagdflinte
     mit den übereinanderliegenden Läufen. Es wurde vereinbart, die übrigen sollten mit der Doppelflinte in Malevil bleiben. Eine
     dürftige Bewaffnung, doch Malevil hatte ja seine Ringmauern, seine Wehrgänge und seine Burggräben.
    Als ich in die Haarnadelkurve einbog, die den Weg nach Malevil mit dem Pfad zu den Rhunes verbindet, warf ich einen langen
     Blick auf die hoch oben im Fels aufragende Burg. Auch Thomas blickte empor. Unnötig, uns unsere Gefühle mitzuteilen. Mit jedem
     Schritt fühlten wir uns nackter, verwundbarer. Malevil war unser Schlupfwinkel, unser »zinnenbewehrtes Nest«, das uns bis
     jetzt immer beschützt hatte, selbst vor den letzten technologischen Raffinessen. Was für ein Angsttraum, Malevil zu verlassen,
     was für ein Angsttraum auch dieser lange Marsch, einer hinter dem andern. Der Himmel grau, die Erde grau, die Baumstümpfe
     geschwärzt, die Stille, die Regungslosigkeit des Todes. Und am Ende lagen die einzigen Wesen, die in dieser Gegend noch lebten,
     auf der Lauer, um uns niederzumachen.
    Ich war überzeugt: Der Raub der Stute hatte auf dem staubbedeckten und verbrannten Boden unverwischbare Spuren hinterlassen,
     was also hieß, daß die Räuber mit einer Verfolgung rechneten und daß uns irgendwo, an einem Punkt des kahlgebrannten Horizonts,
     ein Hinterhalt erwartete. Trotzdem, wir hatten keine Wahl. Wir konnten nicht hinnehmen, daß man einen von uns niederschlug
     und uns ein Pferd raubte. Wenn wir nicht in der Defensive bleiben wollten, mußten wir auf das Spiel des Angreifers eingehen.
    Zwischen dem Augenblick, da ich Peyssou bewegungslos auf dem Feld liegen sah, und dem Zeitpunkt, zu dem wir Malevil verließen,
     war höchstens eine halbe Stunde vergangen. Der Räuber hatte, während er sich mit Amarante herumschlug, |164|

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