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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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die
Stille
von Malevil. Doch war das, Gott sei Dank, außer für Städter keine Stille gewesen. Ein fernes Auto auf der Straße an den Rhunes,
     ein Traktor auf einem Acker, der Schrei eines |159| Vogels, ein starrköpfiger Hahn, ein übereifriger Hund, und im Sommer natürlich die Heuschrecken, die Grillen, die Bienen im
     wilden Wein. Jetzt, ja, jetzt herrscht hier Stille. Und Himmel und Erde nichts wie Bleigrau. Anthrazit und Schwarz. Und dazu
     Bewegungslosigkeit. Der Leichnam einer Landschaft. Ein toter Planet.
    Den Feldstecher vor den Augen, suchte ich die Stelle ab, wo sich La Roque hätte befinden müssen, ohne etwas anderes zu unterscheiden
     als Grau und ohne auch nur sagen zu können, ob dieses Grau dem Erdreich oder der Wölbung zugehörig war, die auf uns niederdrückte.
     Ich senkte das Fernglas gradweise, bis zu dem Feldstreifen an den Rhunes, wo Peyssou mit Amarante beim Pflügen sein mußte.
     Wenigstens dort würde etwas Leben sein. Ich suchte nach der Stute als dem augenfälligsten Objekt, und etwas nervös geworden,
     weil ich sie nicht fand, setzte ich das Glas ab. Mit unbewaffnetem Auge sah ich den Pflug mitten auf dem Feld stehen und Peyssou
     mit ausgebreiteten Armen reglos daneben auf dem Boden liegen. Amarante war verschwunden.
    Wie ein Verrückter rannte ich die zweistöckige Wendeltreppe hinunter, prallte gegen die Badezimmertür und drückte auf die
     Klinke, weil ich vergaß, daß der Riegel vorgeschoben war; wie ein Tollwütiger trommelte ich mit beiden Fäusten gegen das massive
     Holz und brüllte: Kommt schnell, Peyssou ist etwas zugestoßen!
    Ohne auf meine Gefährten zu warten, begann ich zu laufen. Der Weg führte zunächst den Felshang hinab, dann mußte man in einer
     Haarnadelkurve nach links abbiegen und unterhalb der Burg durch das Bett des verschwundenen Baches abwärts bis zum ersten
     Rhunes-Arm gehen. Ich lief aus Leibeskräften mit hämmernden Schläfen, und ich war außerstande, eine Erklärung zu finden. Amarante
     war so fügsam und so sanft, daß ich nicht glauben konnte, sie hätte Peyssou zu Boden geworfen, um auszureißen. Wohin sollte
     sie überhaupt ausreißen? Wo es doch keinen einzigen Grashalm mehr gab und sie in Malevil zur Genüge Heu und Gerste hatte?
    Nach einer Weile hörte ich meine Gefährten hinter mir, die mich einzuholen trachteten und auf dem felsigen Boden mit ihren
     Stiefeln klapperten. Hundert Meter vor dem Ackerstreifen überholte mich Thomas, der mir mit seinen langen schnellen |160| Schritten bald weit voraus war. Ich sah von ferne, wie er bei Peyssou niederkniete, ihn behutsam umdrehte und ihm den Kopf
     höher legte.
    »Er lebt!« rief er mir zu.
    Erschöpft und außer Atem, kauerte ich mich nieder. Peyssou schlug die Augen auf, aber sein Blick ging ins Leere. Seine Nase
     und seine linke Wange waren mit Erde beschmiert, am Nacken blutete er stark. Colin, Meyssonnier und Momo – dieser völlig nackt
     und noch triefend von Wasser – trafen ein, während ich die große, aber, aus der Nähe besehen, nur oberflächliche Wunde untersuchte.
     Schließlich kam auch die Menou, die aus dem Torbau eine Flasche Branntwein mitbrachte. Sie hatte meinen Bademantel bei sich,
     in den sie, noch ehe sie auch nur einen Blick auf Peyssou warf, Momo einwickelte.
    Ich goß ein wenig Branntwein in die Wunde, und Peyssou knurrte. Dann schüttete ich ihm einen tüchtigen Schluck in den Mund
     und reinigte ihm das von Erde verschmutzte Gesicht mit seinem in Alkohol getränkten Taschentuch.
    »Amarante kann das nicht gewesen sein«, sagte Colin. »So, wie er gelegen hat …«
    »Peyssou«, fragte ich, während ich ihm mit dem Branntwein die Schläfen einrieb, »kannst du mich hören? Was ist passiert? Amarante
     schlägt doch nicht aus.«
    »Das habe ich auch bemerkt«, sagte die Menou. »Nicht mal, wenn sie spielt. Ein Tier, das den Hintern nicht hochkriegt.«
    Peyssous Blick sammelte sich.
    »Emmanuel«, sagte er mit leiser Stimme, aber deutlich. Ich gab ihm einen zweiten Schluck Branntwein und rieb ihm nochmals
     die Schläfen ein.
    »Was ist passiert?« fragte ich und tätschelte ihm die Wangen, während ich mit den Augen seinen Blick zurückzuhalten suchte,
     der abermals ins Leere zu entweichen drohte.
    »Er hat einen ordentlichen Schock erlitten«, sagte Colin und stand auf. »Aber er kommt zu sich, er sieht schon besser aus.«
    »Peyssou! Kannst du mich hören? Peyssou!«
    Ich hob den Kopf.
    »Menou, gib mir doch den Gürtel von meinem

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