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Malevil

Malevil

Titel: Malevil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Spiel war, so hatte sie ihr doch die Männer nicht verleidet.
    Der Hof der Höhlenmenschen trug einen Namen, der uns zur Zeit des Zirkels Rätsel aufgab: »l’Etang«. Rätsel deshalb, weil es
     dort selbstverständlich keinen Teich mehr gab, sondern bloß modrige Böden zwischen einer Felswand und einem ebenfalls |166| steilen Hügel. Weder Elektrizität noch Weg. Eine Art feuchte Schlucht, die nie jemand betrat, nicht einmal der Briefträger,
     der die Post, will sagen einen Brief im Monat, bei Cussac ließ, einem schönen Bauernhof am Hang des Hügels. Durch den Postboten
     Boudenot wußten wir wenigstens, wie sie hießen: die Wahrwoordes. Nach allgemeiner Ansicht kein christlicher Name. Boudenot
     sagte, der Vater sei ein »Wilder«, sei aber alles andere als arm. Er besaß Vieh und gutes Ackerland auf dem Hügel.
    Ich holte Thomas ein, hielt ihn am Arm zurück und näherte mich seinem Ohr.
    »Wir sind da«, flüsterte ich. »Jetzt führe ich.«
    Er warf einen Blick in die Runde, sah auf seine Uhr und sagte ebenso leise: »Meine Viertelstunde ist noch nicht um.«
    »Laß nur, ich kenne mich hier aus. Du folgst mir in etwa zehn Meter Abstand.«
    Ich ging voraus; sobald ich ein wenig Vorsprung gewonnen hatte, gab ich ihm mit der in Hüfthöhe weit geöffneten Rechten ein
     Zeichen, stehenzubleiben, und blieb meinerseits stehen. Ich zog den Feldstecher aus dem Etui, nahm ihn vor die Augen und erkundete
     das Gelände. Das schmale Wiesenland, quer von Böschungen und Mauern aus Feldsteinen durchzogen, stieg zwischen dem Hügel und
     der Felswand sanft an. Der Hügel bot den gleichen nackten, geschwärzten Anblick wie alle Hügel, die wir bis jetzt gesehen
     hatten. Das Wiesenland aber, im Norden durch den Felsen und auch durch seine eingeschlossene Lage gut geschützt, hatte gewissermaßen
     einen Grad weniger unter der Verheerung gelitten. Es bot den Anblick eines Gebietes, auf dem die Vegetation zwar abgebrannt,
     aber nicht verkohlt ist; der Erdboden, vielleicht wegen der Feuchtigkeit, die ihn vor dem Tag des Ereignisses durchtränkte,
     sah nicht so grau und staubig aus wie sonst überall. Hier und da sah man sogar gelbliche Büschel, die einmal Gras gewesen
     sein mußten; auch zwei oder drei Bäume, entlaubt zwar und geschwärzt, standen noch. Ich steckte den Feldstecher wieder ein
     und ging vorsichtig weiter. Doch erwartete mich eine andere Überraschung: Der Erdboden war fest und gab unter den Füßen nicht
     nach. Am Tage des Ereignisses war hier das Wasser unter der Hitzewirkung vermutlich wie eine Dampffontäne aus dem Boden hervorgeströmt.
     Und da es seither nicht geregnet hatte, war der Morast ausgetrocknet.
    |167| Während der klare Verstand alle diese Einzelheiten mit vollkommener Schärfe registrierte, spielte mir der Körper manchen Streich:
     übermäßiges Schwitzen an den Handflächen, beschleunigte Herztätigkeit, hämmernde Schläfen und sogar ein leichtes Zittern der
     Hände, als ich den Feldstecher ins Etui zurücksteckte – kein gutes Zeichen für den Fall, daß ich zu schießen hätte. Ich bemühte
     mich, langsam und tief Luft zu holen und die Atemzüge dem Rhythmus meiner Schritte anzupassen, wobei ich den Blick bald auf
     Amarantes Fährte zu meinen Füßen, bald auf das Wiesenland vor mir richtete. Kein Windhauch und kein Geräusch, auch nicht aus
     der Ferne. Zehn Meter vor mir eine niedrige Mauer aus Feldsteinen.
    Alles ging sehr rasch. Ich bemerkte einen Haufen Pferdemist, der mir frisch vorkam. Ich blieb stehen und bückte mich, um ihn
     zu untersuchen, genauer gesagt: Ich wollte ihn mit dem Handrücken befühlen, um festzustellen, ob er noch warm war. Im selben
     Augenblick schwirrte etwas über meinen Kopf hinweg. Eine Sekunde später tauchte Thomas neben mir auf, der sich ebenfalls niedergekauert
     hatte und einen Pfeil in der Hand hielt. An der schwarzen, äußerst scharfen Spitze haftete Erde.
    Im gleichen Augenblick vernahm ich abermals ein Schwirren, ebenso heftig wie das erste. Ich legte mich hin, kroch auf die
     Mauer zu. Ich meinte, ich hätte Thomas hinter mir gelassen, so rasch war ich gekrochen, doch als ich meinen Karabiner niederlegte
     und mich auf die linke Seite drehte, sah ich Thomas zu meiner großen Überraschung in seiner ganzen Länge daliegen, schon damit
     beschäftigt, aus herausgebröckelten Steinen eine Schießscharte zu bauen. Sonderbarerweise hatte er daran gedacht, den Pfeil
     mitzunehmen. Der lag nun neben ihm, seine gelbe und grüne Befiederung

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